Sonntag, 21. Dezember 2008

Mehr e-Gnoranz entwickeln.

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich früher 10 bis 20 mal zum Postkasten draußen gelaufen bin und nachgesehen habe, ob noch ein Brief angekommen ist. Auch saß ich nicht den ganzen Tag neben meinem Telefon. Und wenn es mal geklingelt hat, als ich gerade auf dem Klo war, habe ich nicht alle meine Bekannten abtelefoniert um zu fragen, ob sie gerade versucht haben, mich anzurufen.

Die Segnungen der digitalen Welt bringen auch eine Entwicklung mit sich, die unsere Konzentriertheit und unsere Fokussierung mächtig stören.

Besonders für Kreative können e-Mails, ob über BlackBerry, iphone oder Computer empfangen, sehr destruktive Wirkungen mit sich bringen.

Ich beobachte es an mir selbst. Ich beobachte es an meinem Umfeld. Ich beobachte es eigentlich jeden Tag.

Beobachtung eins: Ich sitze vor einer kreativen Herausforderung, sagen wir mal, ich schreibe eine Präsentation oder denke über einen TV-Spot nach. Ich komme nicht weiter und der Blick fällt auf mein Labtop, das da vor mir steht. Zwar etwas weg gerückt, aber aufgeklappt.

Natürlich habe ich diesen nervigen Signalton abgestellt, der einen darauf aufmerksam macht, das eine neue e-Mail eingetroffen ist. Aber es gibt ja noch den gelben kleinen Briefumschlag auf lilafarbenem Entourage „e“, der mir über die Menüeleiste besagt: Du hast Post.

Schnell bin ich geneigt, den Briefumschlag zu eliminieren und in Entourage nachzusehen, ob das wichtige Mail, das der Kunde telefonisch avisiert hat, bereits eingetroffen ist.

Ich bin, wenn man ehrlich ist, gar nicht so unfroh darüber, denn ich kam ja gerade eh nicht weiter oder hatte keine Idee.

Nennen wir dieses Angewohnheit mal: e-Ablenkung.

Beobachtung zwei: Ich komme zu jemanden ins Zimmer um mit ihm einige Dinge für das nächste Kundenmeeting zu diskutieren. Immer wieder fällt der Blick meines Gegenüber auf sein Labtop. Er nickt zu meinen Äußerungen, brummt zustimmend, doch nebenher tippt er immer wieder auf seiner Tastatur herum.

Als ich ihn frage, wann er denn die besprochenen Schritte umsetzt, kommt als Antwort: "Äh, wie? Äh, sorry, ich habe gerade nicht zugehört".

Noch mal erklären. Noch mal darüber diskutieren.

Nennen wir diese Angewohnheit: e-Energieverlust.

Beobachtung drei: Ich halte eine wichtige Präsentation, suche den Augenkontakt zu den Entscheidern. Ich merke, dass der eine Entschieder mit seinem BlackBerry unterm Tisch beschäftigt ist und der andere Entscheider gerade aufsteht, weil sein iphone vibriert. Er verlässt den Meetingraum. Wenn man Glück hat, murmelt er noch eine Entschuldigung in den Raum.

Ganz abgesehen, dass dieses Verhalten für die geleistete Arbeit des Präsentierenden nicht gerade eine große Respektsbezeugung ist, führen solche Nebentätigkeiten der wichtigen Personen oft dazu, dass die anschließende Diskussion die präsentierte Kampagne kurzerhand beerdigt.

Vielleicht, weil einige Personen in den wichtigen Phasen gerade abwesend waren?

Nicht nur Zeit verloren. Sondern auch Geld. Und vielleicht eine großartige Idee.

Nennen wird diese Angewohnheit: e-Leichtfertigkeit.

Beobachtung vier: In unserer Firma geht ein Anruf für mich ein. Der Empfänger des Anrufes schickt ein e-Mail an mich, dass ich dringend innerhalb der nächsten Stunde den Kunden zurückrufen soll.

Kein weiterer Kommentar: e-Dummheit.

Beobachtung fünf: Irgendein Projekt ist in der Agentur in die Hose gegangen. Es folgen lange Erklärungsmails eines Beteiligten an alle anderen Beteiligten, warum das genau so gekommen ist. Und dass er vorher schon darauf hingewiesen hat (per e-mail), dass es so kommen wird, wenn das und das nicht eingehalten wird.

Aber: das Mail rettet weder das Projekt. Noch den eigenen Arsch, wenn man wirklich dafür verantwortlich ist.

Diese Angewohnheit ist: e-Alibi.

e-Ablenkung, e-Energieverlust, e-Alibi: Es gibt sicher noch viele andere e-Abarten. Und mal ehrlich, jeder von uns schreibt solche Mails wie ich sie oben beschrieben habe. Oder spielt in Meetings an seinem BlackBerry bzw. iphone herum.

Zuallererst muss man feststellen, dass es verdammt unhöflich ist, so zu agieren.

Darauf könnte man entgegnen, e-Verhalten gehört zum Lauf der Zeit und manche Präsentationen sind einfach totlangweilig. e-Mails sind eben der Schriftverkehr der Moderne.

Das e-Zeitalter hat wirklich ein paar Vorzüge, die man nicht mehr missen will.

Aber jeder sollte sich ab und zu überprüfen, inwieweit man durch e-Mails und weitere e-Konsorten von seiner Arbeit abgelenkt wird, wie man sie als Alibi benutzt, gewisse Dinge nicht gleich angepackt zu haben oder wie man versucht, Verantwortung los zu werden („wieso, ich hab dir doch ein e-Mail geschickt, da stand alles drin, wenn du da nicht reagierst, kann ich doch nichts dafür“).

Es gibt Firmen, die e-Mail-freie Tage eingeführt haben (Beispiel hier).

Ich weiß nicht, ob dass die perfekte Lösung ist, aber ich verstehe die Absicht dahinter.

Mitarbeiter sollen lernen, sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren und spüren, wie viel Energie und wie viel Konzentration sie durch das „e“ verlieren.

Für einen Kreativen, der davon lebt, sich zu fokussieren, sich zu konzentrieren und in andere Welten einzutauchen, kann der Computer auf dem Tisch manchmal sehr kontraproduktiv sein.

Ich persönlich komme viel weiter, wenn ich mich eine Stunde voll auf einen aktuellen Job konzentriere statt über zwei bis drei Stunden immer mal wieder 15 Minuten lang versuche, zurück in das Thema zu zu finden – und mich sonst mit e-Mails und anderen Themen beschäftige.

Es ist Weihnachten. Es ist Sonntag. Man blickt zurück. Man reflektiert. So entsteht ein Artikel wie dieser.

Mit großer Wahrscheinlichkeit habe ich diesen Text primär an mich selbst gerichtet.

Ein guter Vorsatz für das neue Jahr:

Tipp 79: Beim kreativen Arbeiten öfter mal den Computer ausmachen.



Für manche Berufe kann es von Vorteil sein, wichtige Nachrichten zu irgnorieren.

TV-Spot „Referee Training“ für Budweiser.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Mir geht es genauso. Deswegen bin ich z.B. nachts viel kreativer und effizienter als tagsüber. Nachts hat man nicht das Gefühl etwas zu verpassen. Spiegel, Bild etc. nichts passiert. Keine E-Mails. Also volle Konzentration auf die Arbeit. Schöner Artikel.

Anonym hat gesagt…

Und ich dachte schon, ich wäre der Einzige der ein solch liederliches Arbeitsverhalten an den Tag legt.
Meinem Vorredner die Hand schüttelnd, kann ich dem nur zustimmen - am Abend bin ich auch definitiv konzentrierter. Es ist halt nicht alles: e- wie einfach!

Übrigens, du als Suchender trägst auch einen kleinen Teil zu meiner täglichen Ablenkung bei - GottseiDank.

*c.

Zschaler hat gesagt…

Vielleicht ein Modell mit Zukunft im e-Zeitalter: Die Nachtagentur. Briefing abends gebracht, Kampagne morgens gemacht. Tagsüber schlafen, nachts ausdenken.

Anonym hat gesagt…

Das wird dann hoffentlich aber die Regel. Dann kann ich endlich tagsüber in Ruhe arbeiten, währen alle anderen schlafen...