Konsequenz ist einer der hervorstechenden Charakterzüge von sehr guten Kreativen. Wenn man ungewöhnlichen Arbeiten begegnet, steckt meistens ein konsequenter Kreativer oder ein konsequentes Kreativ-Team dahinter.
Wie sehr diese Einschätzung stimmt, erfährt man als Kreativer, wenn man eine gute Idee hat, die dann in die Entscheidungsmühlen der Agentur – und später in denen des Kunden – weich geklopft wird.
Wer von uns kennt nicht das Gefühl, dass eine Idee durch die ergänzenden „Ideen“ des CDs und durch die Veränderungswünsche des Kunden so verbogen wird, dass sie ihre ursprüngliche Kraft verliert.
Ein konsequenter Kreativer kämpft darum, dass das nicht passiert.
Im schlimmsten Fall geht er so weit, dass er sich lieber neue Ideen auf dem Briefing ausdenkt, als die zum lauen Werbegag herunter gekochte Idee das Licht der Öffentlichkeit erblicken zu lassen.
Einen der konsequentesten Kreativen, die ich je getroffen habe, ist der Schweizer Pius Walker.
Nach Stationen bei Springer & Jacoby, Jung von Matt, Leagas Delaney London, Scholz & Friends Berlin hat er sich vor ein paar Jahren in seiner Heimatstadt Zürich selbstständig gemacht – mit der kleinsten Werbeagentur der Welt.
Jüngst hat er es mit seinem 5 Leute-Laden in den Gunn Report geschafft.
Der Gunn Report wird jedes Jahr erhoben und ermittelt die weltweit kreativsten Agenturen. Dort befinden sich nur kreative Dickschiffe mit 200 bis 400 Leuten. Und eben Pius mit seinem „gallischen Kreativdorf“, das sich erfolgreich mit dem Zaubertrank der Konsequenz gegen die Besetzer des Mittelmaßes wehrt.
Seine ausgezeichneten Kampagnen hat er unter anderem für Amnesty International, WC Ente und Fleurop gemacht. Es sind ausnahmslos echte Kampagnen.
Pius ist auch bei diesem Thema konsequent. Er produziert keine Fakes.
Wer genauer wissen will, wie der Mann tickt, dem kann ich folgende Anekdote erzählen.
Vor Jahrzehnten, als Pius noch Art Director bei Springer & Jacoby war, plante er eine Anzeige für einen bekannten deutschen Waschmaschinenhersteller. Der Kunde fand die Anzeige ganz gut, wollte aber die Kosten für den Fotografen nicht bezahlen, weil ihm das Shooting zu teuer war.
Der CD von Pius hatte sich damit abgefunden und ihm erklärt, dass wegen der hohen Kosten nichts aus der Anzeige wird. Pius war so überzeugt von der Idee und dem ausgewählten Fotografen, dass er eines morgens zu seiner Bank gegangen ist, all sein Erspartes abgehoben hat, und mit dem Geld zum Kunden gefahren ist.
Er hat dem verblüfften Werbeleiter erklärt, dass er das Shooting aus seiner eigenen Tasche bezahlen will. Wenn dem Kunden das Motiv gefällt, soll er ihm das Geld zurück geben.
Der Kunde war so konsterniert, dass er sich auf den Deal eingelassen hat. Der CD hat getobt. Die Anzeige wurde realisiert. (Die Welt hat allerdings nie wirklich über sie geredet).
Das ist kreative Konsequenz.
Man kann nun darüber streiten, wie weit einer gehen sollte, um für seine Idee zu kämpfen.
Aber in der Tat wird heute viel zu wenig um gute Ideen gekämpft. Oder, wenn die Idee gekauft wurde, um die Umsetzungsdetails, die nötig sind, damit die gute Idee auch nach der Exekution eine gute Idee bleibt.
Konsequent sein ist anstrengend (vor allem für Berater, die die Idee gar nicht hatten). Konsequente Leute sind nervig. Konsequente Arbeit lässt manchmal auch mehr Kosten entstehen.
Aber dafür bewirkt diese Arbeit auch mehr. Ohne Konsequenz gäbe es keine herausragenden Ideen.
Als Pius vor Jahren seine kleine Agentur gegründet hat, wollte er nur noch Werbeideen entwickeln, von denen er wirklich überzeugt ist. Und nur an Pitches teilnehmen, die bezahlt werden.
Er hat Präsentationen um dicke Budgets und prestigeträchtige Marken abgesagt, weil man ihm kein Präsentationshonorar bezahlen wollten. Pius steht auf dem Standpunkt, dass kreative Leistung bezahlt werden muss (zumal ein Pitch Honorar ja nie die Kosten einer Präsentation deckt).
Diese konsequente Haltung hat dazu geführt, dass er sich mit seiner Agentur (und seiner Familie) mehrere Jahre am Existenzminimum entlang gehangelt hat.
Aber er war vom langfristigen Erfolg seines Konzeptes überzeugt. Eine Überzeugung, die schließlich eingetreten ist.
Sein neuestes Husarenstück hat er für einen kleinen Schweizer Verlag konzipiert.
Es geht um ein Buch. Einen Ratgeber für strategische Entscheidungen, die man im Alltag so treffen muss. Pius hat es mit einem einzigen Anzeigenauftritt in der FAZ geschafft, dass die Presse über den Verlag berichtet.
Bild.de hat das Motiv zur geilsten Anzeige des Jahres gekürt, weil die konservative FAZ (scheinbar) den delikaten Inhalt der Anzeige übersehen hat.
Unter der Headline „Was sage ich beim Sex und was besser nicht“ finden sich solch nette Entscheidungsfilter wie „Lutsch meinen Schwanz“ oder „Schwängere mich durchs Ohr“.
Dass dies beileibe keine plumpe und pseudo-provokante Anzeige ist, seht ihr unten.
Dieser Auftritt zeigt, wie man mit einem kleinen Budget und einer starken Idee für Gesprächsstoff sorgen kann.
Und: mit der nötigen Konsequenz.
Tipp 76: Zu einer guten Idee gehört eine große Portion Konsequenz.
Eine einzige Anzeige, ganz viel Presse. Dieses Motiv für einen strategischen Ratgeber aus dem Schweizer Kein & Abel-Verlag stammt von der Agentur Walker, Zürich. Der kleinsten Werbeagentur der Welt.
4 Kommentare:
Manchmal hilft es durch einen Blog, einen erstklassigen übrigens, zu lesen, dass es tatsächlich noch Menschen gibt, die durchgehalten haben. Ich habe das Gefühl, dass viele diese Einstellung nach zwei drei Jahren unter dem Druck der GF oder dem CD verlieren ...
Ich persönlich habe schon beide Seiten erlebt.
Die eine, bei der ich hartnäckig bleiben musste, weil mein CD es nicht für nötig hielt, der Idee die entsprechende Aufmerksamkeit zu schenken (am Ende wurde die Arbeit ausgezeichnet) und die andere Seite, bei der sich mein CD so sehr für die Idee eingesetzt hat, dass ich praktisch gar nichts mehr machen musste.
Und ganz ehrlich: so muss das doch auch laufen! Der Elan muss in erster Linie von dem ausgehen, der die Idee hat, um "sein Baby" groß zu ziehen. Und wenn es dann trotz Elan an der einen oder anderen Stelle hängt, muss/sollte/darf eben der CD mit anpacken...
@florian: nur die harten kommen durch.
@christian: dem ist nichts hinzu zu fügen.
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