Donnerstag, 22. September 2011

Falsche Gradeinstellung.

Die geballte digitale Kommunikationskraft und ihre media-technische wie digital-technische Elite trifft sich einmal im Jahr in Köln für zwei Tage zur dmexco. Spätestens hier wird auch dem Letzten klar, dass das ein riesiges Business geworden ist.

Wer darauf spekuliert, dass sich die Zukunft der Kommunikation entsprechend avantgardistisch präsentiert, dürfte etwas enttäuscht sein.

Die dmexco und ihre Seminare finden in einem eher schmucklosen Kongresszentrum auf dem Kölner Messegelände statt. Auch die digitalen Kommunikationsgiganten unserer Zeit namens Facebook, Google, Amazon oder ebay präsentieren sich auf eher konvetionellen Messeständen.

Am Tag vor der Messe gab es in diesem Jahr zum ersten Mal eine Veranstaltung für Kreative mit Namen Ubercloud. Eine sehr gute Initiative. An der Qualität der Referenten und Themen kann man sicher noch feilen, damit die Veranstaltung das nicht zu knappe Eintrittsgeld wert ist.

Einige Referenten scheinen etwas unvorbereitet oder zeigen einfach ihre Cases. Die Hälfte davon kennt man schon. Die Diskussionsrunden sind zu kurz. Bevor da Substanz aufkommt, sind sie auch schon wieder zu Ende.

Nutzenbringend, relevant, interaktiv. Alles sind sich einig, wie es geht. Keiner hat polarisierende Thesen. Es scheint allen klar zu sein, wie sich Marken in Zukunft darstellen müssen.

Fragen können vom Auditorium natürlich direkt über Twitter gestellt werden.

Aber kaum einer tut das.

Komisch.

In fast allen Vorträgen oder Diskussionsrunden wird erzählt, dass der Konsument der Zukunft „mitmachen“ will.

Er will sich einbringen (Consumer Engagement) und sich mit der Marke austauschen. Er will nur noch relevante Inhalte geliefert bekommen und sogar Produkte mit gestalten können. Er will sich nicht mehr vorschreiben lassen, was er konsumieren soll, sondern äußern, was er zu konsumieren wünscht.

Das hört sich logisch an und trifft in einigen Fällen sicher auch zu. Doch schon bei der Elite der Kommunikationskünstler hat kaum einer Bock zum Mitmachen.

Lauscht man den Chefs von führenden digitalen Agenturen auf einem der vielen Diskussionspanels einen Tag später, so haben die nichts Besseres zu tun, als sich über klassische Agenturen und traditionelle Kreativstars lustig zu machen. Lästern über Personen, die nicht antworten können. Interaktion sieht anders aus.

Und immer wieder die Technik. Als sei sie ein Alibi.

Man hat fast das Gefühl, die Digitalchefs müssen es geradezu herbeireden, dass traditionellen Agenturen niemals in der Lage sein werden, dass alles zu begreifen und sich das Know How anzueignen. (In Amerika gibt es einige Beispiele, wie es traditionelle Agenturen geschafft haben).

Ich hätte es denn auch viel konstruktiver gefunden, mal zu hören, wie für sie denn Markenführung in der Zukunft aussieht.

Viele Ubercloud-Referenten warteten mit sehr spitzen Thesen auf, von der die ein oder andere sicher ihre volle Berechtigung hat. Aber bei all ihren Fallbeispielen habe ich kein einziges Mal die Worte „Markenstrategie“ oder „Kommunikationsstrategie“ gehört.

Keiner hat mal erklärt, wie die vielen tollen Aktionen eigentlich zur Strategie der Marke und zu ihrem gesamten Kommunikationskonzept passen.

Ist das aber nicht die Schlüsselfrage für unsere gemeinsamen Kunden? Wird sie durch die Zunahme der medialen wie technischen Möglichkeiten nicht immer wichtiger?

Die Lösung für eine Marke ist nicht 360 Grad-Kommunikation.

Die Lösung ist, welche Kombination von bestimmten Gradzahlen zur richtigen Kommunikation für eine Marke führt.

Welches intermediale Konzept erreicht ihre Zielgruppen und erfüllt ihre Ziele?

Das können rein digitale Kampagnen sein. Das können immer noch rein klassische Kampagnen sein. Meistens ist es ein smarter Mix.

Collaboration ist eines der Schlüsselwörter der Szene. Marke und Kunde arbeiten zusammen. Aber auch Medien und Techniken müssen für mich besser zusammenarbeiten.

Wem es gelingt, die Disziplinen harmonisch, motivierend und vorbehaltsfrei unter einen Hut zu bringen, der hat einen Vorsprung. Egal, ob klassische oder digitale Agentur.

Was mich persönlich aber am meisten beschäftigt hat war die Frage, wie viele Menschen sich eigentlich durch Marken „engagieren“ lassen wollen?

Wie groß ist bloß der Teil meiner Zielgruppe, der wirklich aktiv mit-posten, mit-crowdsourcen und mit-erfinden will?

Ich befürchte, die größere Mehrheit der Leute wird auch in Zukunft die klassische Voyeursposition bevorzugen. Sie werden sich auch weiterhin lieber berieseln lassen. Eben nicht mehr so oft in TV, sondern im Internet. Oder im interaktiven TV.

Der Vorteil der digitalen Entwicklung ist, dass die Reaktionszeit zum „Kaufentschluss“ kürzer und nachvollziehbarer wird. Man muss nicht mehr vom Sofa aufstehen und in den Laden gehen. Man klickt sich in den Shop. Oder zum Katalog.

Es besteht kein Zweifel, dass die digitalen Spezialdisziplinen und die Technik immer größeren Einfluss auf die Ideenfindung haben.

Aber das befreit keinen davon, erst mal eine starke Strategie und eine starke Idee zu haben. Die wohl klassischste Maxime aller Kreativen. Ich glaube, da haben einige Digitalgurus noch Nachholbedarf.

Wer eine Marke positionieren will, sollte sich nicht nur auf technische Innovationen verlassen. 


Data-Visualization bei der Übercloud-Veranstaltung.
Sag mir, wofür ihr stimmt und ich mach an der Wand eine Grafik draus.







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