Freitag, 30. September 2011

Die Media-Falle.

Kreative werden in Zukunft nicht mehr Werbeflächen gestalten, sondern Räume, in denen sich Marken und Kunden treffen.

So die pathetischen Worte von Peter Minnium, Director des IAB in New York (Interactive Advertising Bureau) auf der Ubercloud-Veranstaltung – dem kreativen Forum der Digitalmesse dmexco.

IAB ist ein Verband, in dem 460 führende Media- und Technologie-Unternehmen der USA vereint sind. Ihr gemeinsames Ziel ist, das Wachstum des Werbemediums Internet voran zu treiben.

Der eloquente Ex-Network-Agentur-Chef mahnte weiter an, dass „sich Kreativität und Media immer noch nicht gut verstehen“. Um im gleichen Atemzug sechs neue Online Standardwerbeformen vorzustellen, auf die sich der IAB mit seinen assoziierten Unternehmen geeinigt hätte. Standardwerbeformen, die da heißen: Rising Star, Slider, Filmslides, Billboardes, etc.

Auf deutsch, etwas ungewöhnlichere und bewegtere Bannerformate.

Es mag eine herausragende Leistung sein, sich mit so vielen Unternehmen auf neue Standards im World Wide Werbe Web zu verständigen. Aber für mich sind das keine Räume, in denen sich Marke und Kunde treffen. Es sind neue und effizienter zu verkaufende Werbeplätze im Internet.

Womit wir uns dem Kern des Problemes nähern, warum "sich Kreativität und Media nicht gut verstehen".

Der Kern des Problems heißt: Standards.

Standards erleichtern es den Mediaagenturen, Geld zu verdienen. Schließlich generieren sie den größten Teil des Profits über den Verkauf von Werbeflächen an ihre Kunden (die manchmal auch unsere Kunden sind).

Dabei hilft es zu wissen, dass es auf der ganzen Welt 5 große Media-Holdings gibt, die den Markt der Menge so gut wie beherrschen:

Group M (gehört zu WPP), Vivaki (gehört zu Publicis), Omnicom Media (gehört zu Omnicom), Aegis Media (gehört zu Aegis) und Havas Media (gehört zu Havas).

Zu jeder dieser Holdings gehören wiederum einige sehr große Mediaunternehmen, deren Namen uns Kreativen schon eher geläufig sind: Mediacom, Mediaegde, Mindshare (Group M), Starcom Mediavest, Zenith Optimedia (Vivaki), OMD, PHD (Omnicom), Carat, Vizeum (Aegis) oder Arena, MPG (Havas).

Puh.

Und: Jede dieser Firmen dreht wahrlich kein kleines Umsatzrad.

Wie erwähnt leben diese Mediagiganten vom Einkauf sehr großer Mengen (z.B. TV Zeiten) zu einem günstigen Rabatt. Um ihn dann in kleineren Mengen gewinnbringend an ihre Kunden zu verkaufen (alles versehen mit einem Mediaplan).

Naiv formuliert: Ich kaufe einen ganzen Kuchen zum Preis von fiktiven "240" minus 35%. Dann teile ich den Kuchen in 24 Stücke auf. Und verkaufe jedes Stück zum Preis von "10" – minus nur 25%. Oder minus nur 20%. Oder minus nur 15%. Oder minus nur 10%. Oder ohne Prozent.

Die Prozente, die eine Mediaagentur seinen Kunden gewährt, hängt wiederum davon ab, wie viele Stücke der Kunde abnimmt. Die Crux für die Mediaagentur: je mehr Werbefläche sie am Anfang eines Jahres von einem Fernsehsender oder einer Sendergruppe abnimmt, desto höher ihr Rabatt. Aber desto höher auch ihr Druck, über das kommende Jahr diese Werbefläche zu verkaufen.

Wo wir uns der Grenze des Zockens nähern.

Beispiel: Der Zentaleinkäufer einer dieser riesigen Media-Holdings stellt Mitte des Jahres fest, dass noch viel zuviel Werbefläche auf Sender X unverkauft ist. Also gibt diese Holding ihren Agenturen Geldanreize, um die restliche Werbefläche an ihre Kunden zu verhökern.

Schnitt. Begeben wir uns jetzt auf die andere Seite des Marketings. Malen wir etwas überzogen Schwarz und Weiß.

Die Kreativagentur hat sich zum Erreichen der Ziele eine neue Zielgruppe und neue Mediakanäle ausgedacht. Hat aber wenig Einfluss auf die Mediaplanung. Auch der Marketingdirektor kann den zentralen Mediaeinkauf seines riesigen Unternehmens nur bedingt beeinflussen.

Der Einkauf des Unternehmens hingegen hat einen sehr rabattträchtigen Deal mit der Mediaagentur geschlossen. Die wiederum noch ein paar Werbeflächen übrig hat. Zufälligerweise auf Sender X.

Und so kann es dann passieren, dass die Spots auf Sendern laufen, die suboptimal zu den neuen Awareness- oder Recall-Zielen der Agentur passen. Geschweige denn zu den neuen Zielgruppen.

Wer meint, dass sei nur bei TV so, der irrt gewaltig.

Print, Plakat oder die geballten Online-Werbeplätze von Internetvermarktern oder Verlagsfamilien: das Mehr an Menge erzeugt überall bessere Rabatte für die Media. Je besser die Rabatte, desto höher die Chance auf Gewinne.

Damit werden kreative oder qualitative Ziele schnell zum Kolateralschaden. Mit der Folge eines neuen Pitches unter Kreativagenturen. Die Mediaagentur hingegen wird nicht hinterfragt. Die Konditionen scheinen einfach zu lukrativ.

Ich möchte betonen, dass dieser Beitrag keinen Generalverdacht äußern und keine Sippenhaft erzeugen möchte. Es gibt sicher viele Menschen im Mediageschäft, die leidenschaftlich versuchen, Qualität der Werbeflächen vor Quantität zu stellen.

Solange jedoch das Geschäftsprinzip des Media-Profits aus dem Mengenverkauf von Standards besteht und das Geschäftsprinzip des Kreativen-Profits aus dem Brechen von Standards – solange werden sich Kreativität und Media, lieber Herr Minnium, auch weiterhin "nicht gut verstehen".

Appendix: Der jüngste Versuch einer Mediaagentur, innerhalb ihrer Organisation eine Kreativeinheit aufzubauen, ist kläglich gescheitert. Ein von mir sehr geschätzter Kollege, der dieses mutige Projekt vor rund einem Jahr leitete, konnte nur ernüchtert das traurige Lied der Mediaübermacht anstimmen. Er hat seine Konsequenzen gezogen. Und ist gegangen.

Seine Chefin in besagter Mediaagentur kennt das Lied inzwischen auch ganz gut. Sie wurde gegangen.

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