Als junger, ehrgeiziger Kreativer lechzt man naturgemäß danach, ungewöhnliche Kampagnen zu entwickeln und an die Öffentlichkeit zu bringen.
Kommunikation, über die Deutschland redet. Werbung, die bei allen Award-Shows abräumt. Arbeiten von einer Qualität, dass einem die HR-Mädels der Agenturen nur so die Bude einrennen.
In diesem Blog kann man die ausgezeichnetsten Fallbeispiele aus aller Welt begutachten und liest am Ende jedes Beitrags noch so einen oberschlauen Tipp.
Aber der Alltag in einer Werbeagentur sieht für Textpraktikanten, Junior Texter und Junior ADs ganz anders aus.
Wie schreibt ein Leser dieses Blogs in einem Kommentar: „Eine 360-Grad-Kampagne zu entwickeln ist selten der Job desjenigen, der aufgrund eines Copytests eingestellt wurde. Der macht eher die fürchterlichen Fachanzeigen, überflüssigen Leaflets, vom Kunden gewünschten Störer und absolut sinnfreien Advertorials, auf die der Senior keinen Bock bzw. für die er keine Zeit hat - weil er ja 360 Grad für Skoda machen darf.“
Was nützen dir also in dieser Situation meine schlauen Sprüche?
Kurzfristig: nichts.
Mittelfristig: einiges.
Langfristig: viel.
Kurzfristig wirst du mit deinen kreativen Ansprüchen in deinem Umfeld wenig ausrichten können, wenn dein kreativer Obermufti dafür nicht offen ist.
Sehr viele Agenturen existieren nicht, um wirklich etwas mit Kommunikation zu bewegen, sondern um zu erahnen, was ihre Kunden wollen, sie zufrieden zu stellen und Geld damit zu verdienen.
Die Arbeit in den ersten Agenturstationen sollte man als Einsteiger deshalb nutzen, sich eine Meinung zu bilden, welche Art von Werbung man mittelfristig machen möchte.
Man sollte jede Gelegenheit ergreifen, um seine Mappe zu verbessern. Denn die Mappe zählt in diesem Job wie nichts anderes.
In keinem Fall Arbeiten aus der Agentur in die Mappe hineinpacken, wenn sie nichts taugen. Das Fleißkärtchen zieht bei den interssanten Kreativadressen nicht.
Nutze die Jobs in deiner Agentur und die Briefings, um die Ideen zu visualisieren, die deiner eigenen Vision am nächsten kommen.
Jedes neue Briefing ist eine Chance, eine ungewöhnliche Idee zu realisieren.
Warum teilst du dir die Jobs nicht in „Pflicht“ und „Kürl“ ein?
Pflicht sind Ideen, die der Seniortexter, CD oder Kunde sehen will.
Kür sind Ideen, die die Aufgabe spektakulär lösen, aber durch die Hierarchien der Bedenkenträger nicht durch kommen.
Du wirst dennoch erkennen, dass die ein oder andere Kür-Idee, wenn man sie dem kreativen Vorturner zeigt, plötzlich doch mit zum Kunden geht, weil der CD sich ja auch profilieren möchte.
Das Ganze hat natürlich einen Nachteil: Du musst mehr und härter arbeiten. Das ist der Preis in einem Job, in dem man mit großartigen Ideen über Nacht zu Ruhm und Ehre kommen kann.
Das Pflicht/Kür-Vorgehen hilft, seine eigene Meßlatte zu justieren und nicht im Sog des Mittelmaßes langsam aber sicher unterzugehen.
Ich habe schon sehr viele ambitionierte Texter gesehen, die zu lange in mittelmäßigen Agenturen verbracht haben. Dadurch haben sie sich einen guten finanziellen Lebensstandard erarbeitet, aber ihre Mappe reichte nicht aus, um in diesem Stadium mit ihrem Gehalt den Sprung in eine wirkliche Kreativagentur zu schaffen.
Wenn du den Ehrgeiz hast, kreative Meriten zu sammeln, dann bring dich nicht erst in so eine Situation, sondern arbeite von Beginn an an der Qualität deiner Mappe.
Solange du eigene Ideale hast, hast du auch den Antrieb, sie langfristig in die Tat umzusetzen. Du entwickelst die Energie, alles zu tun, damit du endlich in der Agentur arbeiten kannst, die diesen Idealen am nächsten kommt.
Wer kein Ziel hat, kann es auch nicht erreichen.
In einem meiner ersten Beiträge habe ich beschrieben, dass ich als CD bei Jung von Matt einen Texter, der die Qualität meiner Mappe nach 5 Jahren ins Gespräch mitgebracht hat, nie eingestellt hätte.
Das sollte Motivation genug sein.
Ich habe durch die vielen Untiefen des Jobs gelernt, was ich alles irgendwann nicht mehr machen will. Und das war gut so.
Man sollte als Jungkreativer ungeduldig sein, aber nicht zu ungeduldig.
Wichtig ist, am Anfang möglichst viele Briefs zu bearbeiten und durch die Auseinandersetzung mit anderen Kreativen zu verstehen, was eine richtig starke Idee und was der normale Alltagswahnsinn ist.
Zur Beruhigung aller, die denken, nur Mist in ihren Agenturen zu produzieren, sei gesagt, dass selbst in den tollsten Agenturen ganze Keller voller Kreativleichen haben.
Jeff Steinhour, Managing Director von CP+B, sagte am Ende seines Vortrages vor ein paar Wochen an der Berlin School of Creative Leadership:
Ich habe ihnen 9 Highlights gezeigt, aber 900 andere Arbeiten unserer Agentur verschwiegen.
Werbung ist, das Beste einer Marke heraus zu stellen. Auch in der Eigenwerbung.
Tipp 36: Mach schlechte Erfahrungen. Dann weißt du für immer, was du nicht willst.
Die Pflicht für Goodyear.
Eine Anzeige, die die Testsiege für verschiedene Reifen herausstellt.
Hätte man ganz sicher viel kreativer lösen können.
Diese Arbeit packt man sich besser nicht in die Mappe.
Die Kür für Goodyear.
Eine Anzeige für den Reifen Eagle F1 Asymmetric.
Diese Arbeit ist mappentauglich.
4 Kommentare:
Ein Posting, das ziemlich?/sehr?/zu 100 %?/absolut?/perfekt verstanden hat, was in meinem ungeduldigen Junior-Texter-Kopf abgeht. It kicks my ass. Danke. Ausdrucken und als Motivation am Bettpfosten verewigen. Soll helfen, munkelt man.
Nur eins dazu: Geduld zu haben ist soooooo schwer, wenn man permanent das Gefühl hat, nicht ernst genommen zu werden mit seinen Ansprüchen. Und/oder klein gehalten wird. Das Juniors dazu da sind, den alten Hasen den Rotz vom Leib zu halten, sehe ich ein. Aber nicht 24/7. Nicht in den Agenturen, die zu Recht was auf sich halten dürfen.
Dabei fällt mir ein: Wie lange sollte man als Junior in einer Agentur bleiben? Oder darf man wechseln, wenn der Nordwind wieder weht?
So long und guten Morgen
Steph
Wenn es wirklich so ist, dass du nicht ernst genommen und klein gehalten wirst und 8 Stunden am Tag nur echten Mist wegschrubben darfst, dann hört sich das sehr ungesund an und ich empfehle dir: sofort wechslen.
Egal, wie lange du schon bei der Agentur bist.
Ich würd sagen: On my way.
ok, das klingt vernünftig.
Viel Glück.
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