Freitag, 30. September 2011

Die Media-Falle.

Kreative werden in Zukunft nicht mehr Werbeflächen gestalten, sondern Räume, in denen sich Marken und Kunden treffen.

So die pathetischen Worte von Peter Minnium, Director des IAB in New York (Interactive Advertising Bureau) auf der Ubercloud-Veranstaltung – dem kreativen Forum der Digitalmesse dmexco.

IAB ist ein Verband, in dem 460 führende Media- und Technologie-Unternehmen der USA vereint sind. Ihr gemeinsames Ziel ist, das Wachstum des Werbemediums Internet voran zu treiben.

Der eloquente Ex-Network-Agentur-Chef mahnte weiter an, dass „sich Kreativität und Media immer noch nicht gut verstehen“. Um im gleichen Atemzug sechs neue Online Standardwerbeformen vorzustellen, auf die sich der IAB mit seinen assoziierten Unternehmen geeinigt hätte. Standardwerbeformen, die da heißen: Rising Star, Slider, Filmslides, Billboardes, etc.

Auf deutsch, etwas ungewöhnlichere und bewegtere Bannerformate.

Es mag eine herausragende Leistung sein, sich mit so vielen Unternehmen auf neue Standards im World Wide Werbe Web zu verständigen. Aber für mich sind das keine Räume, in denen sich Marke und Kunde treffen. Es sind neue und effizienter zu verkaufende Werbeplätze im Internet.

Womit wir uns dem Kern des Problemes nähern, warum "sich Kreativität und Media nicht gut verstehen".

Der Kern des Problems heißt: Standards.

Standards erleichtern es den Mediaagenturen, Geld zu verdienen. Schließlich generieren sie den größten Teil des Profits über den Verkauf von Werbeflächen an ihre Kunden (die manchmal auch unsere Kunden sind).

Dabei hilft es zu wissen, dass es auf der ganzen Welt 5 große Media-Holdings gibt, die den Markt der Menge so gut wie beherrschen:

Group M (gehört zu WPP), Vivaki (gehört zu Publicis), Omnicom Media (gehört zu Omnicom), Aegis Media (gehört zu Aegis) und Havas Media (gehört zu Havas).

Zu jeder dieser Holdings gehören wiederum einige sehr große Mediaunternehmen, deren Namen uns Kreativen schon eher geläufig sind: Mediacom, Mediaegde, Mindshare (Group M), Starcom Mediavest, Zenith Optimedia (Vivaki), OMD, PHD (Omnicom), Carat, Vizeum (Aegis) oder Arena, MPG (Havas).

Puh.

Und: Jede dieser Firmen dreht wahrlich kein kleines Umsatzrad.

Wie erwähnt leben diese Mediagiganten vom Einkauf sehr großer Mengen (z.B. TV Zeiten) zu einem günstigen Rabatt. Um ihn dann in kleineren Mengen gewinnbringend an ihre Kunden zu verkaufen (alles versehen mit einem Mediaplan).

Naiv formuliert: Ich kaufe einen ganzen Kuchen zum Preis von fiktiven "240" minus 35%. Dann teile ich den Kuchen in 24 Stücke auf. Und verkaufe jedes Stück zum Preis von "10" – minus nur 25%. Oder minus nur 20%. Oder minus nur 15%. Oder minus nur 10%. Oder ohne Prozent.

Die Prozente, die eine Mediaagentur seinen Kunden gewährt, hängt wiederum davon ab, wie viele Stücke der Kunde abnimmt. Die Crux für die Mediaagentur: je mehr Werbefläche sie am Anfang eines Jahres von einem Fernsehsender oder einer Sendergruppe abnimmt, desto höher ihr Rabatt. Aber desto höher auch ihr Druck, über das kommende Jahr diese Werbefläche zu verkaufen.

Wo wir uns der Grenze des Zockens nähern.

Beispiel: Der Zentaleinkäufer einer dieser riesigen Media-Holdings stellt Mitte des Jahres fest, dass noch viel zuviel Werbefläche auf Sender X unverkauft ist. Also gibt diese Holding ihren Agenturen Geldanreize, um die restliche Werbefläche an ihre Kunden zu verhökern.

Schnitt. Begeben wir uns jetzt auf die andere Seite des Marketings. Malen wir etwas überzogen Schwarz und Weiß.

Die Kreativagentur hat sich zum Erreichen der Ziele eine neue Zielgruppe und neue Mediakanäle ausgedacht. Hat aber wenig Einfluss auf die Mediaplanung. Auch der Marketingdirektor kann den zentralen Mediaeinkauf seines riesigen Unternehmens nur bedingt beeinflussen.

Der Einkauf des Unternehmens hingegen hat einen sehr rabattträchtigen Deal mit der Mediaagentur geschlossen. Die wiederum noch ein paar Werbeflächen übrig hat. Zufälligerweise auf Sender X.

Und so kann es dann passieren, dass die Spots auf Sendern laufen, die suboptimal zu den neuen Awareness- oder Recall-Zielen der Agentur passen. Geschweige denn zu den neuen Zielgruppen.

Wer meint, dass sei nur bei TV so, der irrt gewaltig.

Print, Plakat oder die geballten Online-Werbeplätze von Internetvermarktern oder Verlagsfamilien: das Mehr an Menge erzeugt überall bessere Rabatte für die Media. Je besser die Rabatte, desto höher die Chance auf Gewinne.

Damit werden kreative oder qualitative Ziele schnell zum Kolateralschaden. Mit der Folge eines neuen Pitches unter Kreativagenturen. Die Mediaagentur hingegen wird nicht hinterfragt. Die Konditionen scheinen einfach zu lukrativ.

Ich möchte betonen, dass dieser Beitrag keinen Generalverdacht äußern und keine Sippenhaft erzeugen möchte. Es gibt sicher viele Menschen im Mediageschäft, die leidenschaftlich versuchen, Qualität der Werbeflächen vor Quantität zu stellen.

Solange jedoch das Geschäftsprinzip des Media-Profits aus dem Mengenverkauf von Standards besteht und das Geschäftsprinzip des Kreativen-Profits aus dem Brechen von Standards – solange werden sich Kreativität und Media, lieber Herr Minnium, auch weiterhin "nicht gut verstehen".

Appendix: Der jüngste Versuch einer Mediaagentur, innerhalb ihrer Organisation eine Kreativeinheit aufzubauen, ist kläglich gescheitert. Ein von mir sehr geschätzter Kollege, der dieses mutige Projekt vor rund einem Jahr leitete, konnte nur ernüchtert das traurige Lied der Mediaübermacht anstimmen. Er hat seine Konsequenzen gezogen. Und ist gegangen.

Seine Chefin in besagter Mediaagentur kennt das Lied inzwischen auch ganz gut. Sie wurde gegangen.

Samstag, 24. September 2011

Mitlachen statt mitmachen.

Viele Redner aus der digitalen Agentur- und Kreationsbranche haben auf der dmexco gebetsmühlenhaft betont, dass der Konsument der Zukunft seine Marken mitgestalten und sich mit seiner Meinung einbringen will.

Dass er die Chance haben will, sich in eine Aktion, in eine Bewegung oder einen Event einklinken (à la Nike Running) und mit anderen vernetzen zu können.

In meinem Beitrag „Falsche Gradeinstellung“ unten habe ich ausführlich dazu Stellung genommen.

Ich bin der Überzeugung, dass dieses Bedürfnis zunimmt, aber dass sich auch in Zukunft die große Masse der Menschen nicht von Marken engagieren lassen will.

Viele Menschen wollen sich – wie bisher – berieseln, unterhalten und informieren lassen, ohne sich selbst einbringen zu müssen.

Um Reichweite und eine breite emotionale Awareness für eine Marke zu generieren (ich rede hier nicht von digitaler one-to-one-Kommunikation), wird ein Massenmedium der Zukunft vielleicht bald nicht mehr das klassische TV, sondern eben das interaktive TV sein.

Und vielleicht nicht mehr auf ARD, ZDF oder SAT1, sondern eben auf YouTube oder anderen Self-Broadcasting-Channel.


Erfolg hat, wer es schafft, immer wieder emotionale wie relevante Stories zu präsentieren. Dramen, Komödien, Markeninszenierungen, etc.

Das angehängte Beispiel zeigt, wie Entertainment und Emotionalisierung für eine Marke in diesen Zeiten gehen kann.

Höchst amüsant, wie ich finde.

Eine Marke (Carlsberg) startet einen kleinen, ungewöhnlichen Event im Kino (fast wie eine versteckte Kamera-Show). Dieser Event wird gefilmt und dann im Internet aufgeführt (von mir aus kann man das auch „vermarktet“ nennen).

Der Betrachter kann weder in das Video reinklicken, noch gleich was bestellen, noch an irgendeinem Gewinnspiel teilnehmen.

Wie uncharmant und unsouverän wäre das auch, hier jetzt die Links zu Getränkehändlern oder anderen Outlets dranzuhängen.

Das hat diese Marke nicht nötig.

Man guckt sich den Streifen einfach nur an und unterhält sich köstlich. Man entwickelt Sympathie und Respekt für die Marke und redet mit anderen drüber.


Für solche Auftritte ist eine klare Marken- und Kommunikationsstartegie nötig.

Und der Mut der Kunden, auf neue Wege zu setzen.

Allerdings, so weit Weg von einem klassischen TV-Spot ist dieser Weg eigentlich gar nicht.

Donnerstag, 22. September 2011

Falsche Gradeinstellung.

Die geballte digitale Kommunikationskraft und ihre media-technische wie digital-technische Elite trifft sich einmal im Jahr in Köln für zwei Tage zur dmexco. Spätestens hier wird auch dem Letzten klar, dass das ein riesiges Business geworden ist.

Wer darauf spekuliert, dass sich die Zukunft der Kommunikation entsprechend avantgardistisch präsentiert, dürfte etwas enttäuscht sein.

Die dmexco und ihre Seminare finden in einem eher schmucklosen Kongresszentrum auf dem Kölner Messegelände statt. Auch die digitalen Kommunikationsgiganten unserer Zeit namens Facebook, Google, Amazon oder ebay präsentieren sich auf eher konvetionellen Messeständen.

Am Tag vor der Messe gab es in diesem Jahr zum ersten Mal eine Veranstaltung für Kreative mit Namen Ubercloud. Eine sehr gute Initiative. An der Qualität der Referenten und Themen kann man sicher noch feilen, damit die Veranstaltung das nicht zu knappe Eintrittsgeld wert ist.

Einige Referenten scheinen etwas unvorbereitet oder zeigen einfach ihre Cases. Die Hälfte davon kennt man schon. Die Diskussionsrunden sind zu kurz. Bevor da Substanz aufkommt, sind sie auch schon wieder zu Ende.

Nutzenbringend, relevant, interaktiv. Alles sind sich einig, wie es geht. Keiner hat polarisierende Thesen. Es scheint allen klar zu sein, wie sich Marken in Zukunft darstellen müssen.

Fragen können vom Auditorium natürlich direkt über Twitter gestellt werden.

Aber kaum einer tut das.

Komisch.

In fast allen Vorträgen oder Diskussionsrunden wird erzählt, dass der Konsument der Zukunft „mitmachen“ will.

Er will sich einbringen (Consumer Engagement) und sich mit der Marke austauschen. Er will nur noch relevante Inhalte geliefert bekommen und sogar Produkte mit gestalten können. Er will sich nicht mehr vorschreiben lassen, was er konsumieren soll, sondern äußern, was er zu konsumieren wünscht.

Das hört sich logisch an und trifft in einigen Fällen sicher auch zu. Doch schon bei der Elite der Kommunikationskünstler hat kaum einer Bock zum Mitmachen.

Lauscht man den Chefs von führenden digitalen Agenturen auf einem der vielen Diskussionspanels einen Tag später, so haben die nichts Besseres zu tun, als sich über klassische Agenturen und traditionelle Kreativstars lustig zu machen. Lästern über Personen, die nicht antworten können. Interaktion sieht anders aus.

Und immer wieder die Technik. Als sei sie ein Alibi.

Man hat fast das Gefühl, die Digitalchefs müssen es geradezu herbeireden, dass traditionellen Agenturen niemals in der Lage sein werden, dass alles zu begreifen und sich das Know How anzueignen. (In Amerika gibt es einige Beispiele, wie es traditionelle Agenturen geschafft haben).

Ich hätte es denn auch viel konstruktiver gefunden, mal zu hören, wie für sie denn Markenführung in der Zukunft aussieht.

Viele Ubercloud-Referenten warteten mit sehr spitzen Thesen auf, von der die ein oder andere sicher ihre volle Berechtigung hat. Aber bei all ihren Fallbeispielen habe ich kein einziges Mal die Worte „Markenstrategie“ oder „Kommunikationsstrategie“ gehört.

Keiner hat mal erklärt, wie die vielen tollen Aktionen eigentlich zur Strategie der Marke und zu ihrem gesamten Kommunikationskonzept passen.

Ist das aber nicht die Schlüsselfrage für unsere gemeinsamen Kunden? Wird sie durch die Zunahme der medialen wie technischen Möglichkeiten nicht immer wichtiger?

Die Lösung für eine Marke ist nicht 360 Grad-Kommunikation.

Die Lösung ist, welche Kombination von bestimmten Gradzahlen zur richtigen Kommunikation für eine Marke führt.

Welches intermediale Konzept erreicht ihre Zielgruppen und erfüllt ihre Ziele?

Das können rein digitale Kampagnen sein. Das können immer noch rein klassische Kampagnen sein. Meistens ist es ein smarter Mix.

Collaboration ist eines der Schlüsselwörter der Szene. Marke und Kunde arbeiten zusammen. Aber auch Medien und Techniken müssen für mich besser zusammenarbeiten.

Wem es gelingt, die Disziplinen harmonisch, motivierend und vorbehaltsfrei unter einen Hut zu bringen, der hat einen Vorsprung. Egal, ob klassische oder digitale Agentur.

Was mich persönlich aber am meisten beschäftigt hat war die Frage, wie viele Menschen sich eigentlich durch Marken „engagieren“ lassen wollen?

Wie groß ist bloß der Teil meiner Zielgruppe, der wirklich aktiv mit-posten, mit-crowdsourcen und mit-erfinden will?

Ich befürchte, die größere Mehrheit der Leute wird auch in Zukunft die klassische Voyeursposition bevorzugen. Sie werden sich auch weiterhin lieber berieseln lassen. Eben nicht mehr so oft in TV, sondern im Internet. Oder im interaktiven TV.

Der Vorteil der digitalen Entwicklung ist, dass die Reaktionszeit zum „Kaufentschluss“ kürzer und nachvollziehbarer wird. Man muss nicht mehr vom Sofa aufstehen und in den Laden gehen. Man klickt sich in den Shop. Oder zum Katalog.

Es besteht kein Zweifel, dass die digitalen Spezialdisziplinen und die Technik immer größeren Einfluss auf die Ideenfindung haben.

Aber das befreit keinen davon, erst mal eine starke Strategie und eine starke Idee zu haben. Die wohl klassischste Maxime aller Kreativen. Ich glaube, da haben einige Digitalgurus noch Nachholbedarf.

Wer eine Marke positionieren will, sollte sich nicht nur auf technische Innovationen verlassen. 


Data-Visualization bei der Übercloud-Veranstaltung.
Sag mir, wofür ihr stimmt und ich mach an der Wand eine Grafik draus.







Samstag, 10. September 2011

Mehr Effizienz durch Pizza.

Am Ende des ersten Tages der Effie-Jury war traditionell ein Abendessen mit dem Beraterkreis und den GWA-Kollegen in der Frankfurter Gerbermühle geplant.

Doch es kam anders.

Um der Bewertung aller Einreichungen gerecht zu werden, beschloss die Jury, statt Frankfurter Grüne Soße oder Handkäse mit Musik lieber die kulinarischen Höhepunkte einer nahegelegenen Pizzeria im Konferenzraum zu genießen. Und weiter zu jurieren.

Mir wurde später gesagt, dass keine Jurysitzung seit Bestehen des Effie Wettbewerbes so lange gedauert habe. Und ich hoffte inständig, dass das nicht an mir lag.

Die 11-köpfige Jury aus Marktforschern, Marketingpersönlichkeiten, Mediaspezialisten und Agenturleuten traf sich zusammen mit dem Beraterkreis am vergangenen Donnerstag und Freitag in Frankfurt zur finalen Effie-Vergabe. Die Verleihung folgt am 13. Oktober 2011 in Berlin.

107 Fallbeispiele wurden eingereicht. Ein potenter Beraterkreis aus Marktforschern hat diese Text-, Chart- und Datenmenge im Vorfeld der Jurierung unter die Lupe genommen und uns schließlich 49 Arbeiten als ernsthafte Anwärter zur Online-Jurierung ans Herz gelegt.

Nach der Online-Jurierung blieben noch 44 Einreichungen übrig. Diese Fälle musste die Jury nun noch mal einzeln diskutieren und schließlich Gold, Silber und Bronze festlegen.

Bei der Bewertung werden die Erfolgsnachweise mit 60% und die Kommunikationsstrategie mit 40% bewertet.

Doch das Bewertungssystem ist noch komplexer.

Die Ergebnisse der Einzelbewertung durch die Juroren (online) fließt mit 60%, die Bewertungen nach der Diskussion durch die Jury mit 40% in das Gesamtergebnis ein.

Unsere wichtigste Erkenntnis: diese persönliche Diskussion vor Ort mit unterschiedlichen Fachleuten tut mehr als Not.

Und das nicht, weil ich als einziger Kreativer vielleicht weniger vertraut mit der Zahlenakrobatik einiger Einsender bin.

Die Diskussion ist der schieren Menge an Detailinformationen von 49 Cases mit jeweils 4 bis 8 Seiten voller Text, Charts und Schaubildern geschuldet. Und der Tatsache, dass man bei der Durchsicht nicht immer die wichtigen Feinheiten feststellen.

Auch ist der Interpretationsspielraum von Schaubildern selten ganz offensichtlich.

Die Steigerung eines Marktanteiles von 2% kann in einem bestimmten Markt kaum von Bedeutung sein, wohin gegen die gleiche Zahl in einem anderen Markt eine große Leistung darstellen kann.

Auch den Quellen und Legendentexte der Charts muss man sehr viel mehr Beachtung schenken, als ich es vermutet habe.

Die Verfasser der Cases in den Agenturen sind ja nicht auf den Kopf gefallen und unternehmen (verständlicherweise) alles, um ihren Erfolg möglichst eindrucksvoll aussehen zu lassen.

Doch wenn die Marktleistung (z.B. Abverkauf) in einem Zeitraum wächst, der noch vor dem Zeitraum beginnt, in dem die Awareness gemessen wurde, dann werden Markterfolg und Kommunikationsleistung nicht zwangsläufig etwas miteinander zu tun haben.

Was es einem Juror zusätzlich schwer macht, den Fall zu bewerten, ist eine unstrukturierte Aufreihung der drei wichtigsten Parameter für einen Effie (Kommunikationseffekt, Markterfolg und Effizienz).

Viele Autoren meinen, je mehr Text sie schreiben und je mehr Charts sie hinzu packen, desto größer die Erfolgschance.

Das ist ein Trugschluss.

Das Fallbeispiel sollte lieber so knapp wie möglich geschrieben sein, aber mit den richtigen Zahlen und Daten logisch aufeinander aufbauen.

Welche Wirkung (Effekt) hat die Kampagne erzeugt (z.B. Awareness, Recognition, Recall, etc.)?

Wie hat die Kampagne die Marktleistung gesteigert (z.B. Marktanteil, Neukunden, Verkaufseinheiten, etc.)?

Und schließlich:

Wie gut war das Verhältnis zwischen Effekt und eingesetztem Budget, also wie effizient wurde kommuniziert (z.B. Budget gegenüber Wettbewerbern, ROI, etc.)?

Das größte Problem aller Agenturen ist, dass sie speziell bei der Marktleistung häufig nicht die nötigen Daten erhalten (z.B. Umsatzsteigerung, Steigerung der Einheiten, etc.), um daraus auch den Return on Investment ermitteln zu können.

Doch gerade diese Daten gehören zur Gewinnerwährung beim Effie.

Als Kreativer war für mich natürlich der Unterschied der Effie-Juryarbeit zu der bei Kreativwettbewerben von großem Interesse.

Und es gibt einen gewaltigen Unterschied.

Der persönliche Geschmack und Stil wird zwar nicht ganz ausgeblendet (starke Kampagnen oder Strategien genießen natürlich mehr Goodwill als gruselige Kreation), doch am Ende spielt die faktische Wirkung die größte Rolle.

Man mag es kaum glauben, aber diese Juryarbeit kann für einen Kreativen durchaus motivierend sein, denn sie zeigt eindringlich, dass selbst in Zeiten der Informationsüberflutung eines bleibt: Kommunikation wirkt.

Wenn man wirklich eine knackige Strategie verfolgt, eine gute kreative Idee entwickelt und sie mit einer sinnvollen Mediastrategie unter die Leute bringt, dann ist eine gute Kampagne immer noch der Turbo für eine Marke.

So kann ich abschließend nur folgenden Ratschlag hinterlassen: Wer wirklich eine kreative Kampagne schaffen will, die nachweislich etwas Großes bewirkt, der sollte nicht nur auf Presseclippings, Facebookfreunde und Kreativawards spekulieren, sondern gleich nach der Freigabe der Kampagne überlegen, wie er die Markt-Wirkung seiner Arbeit nachweisen kann.

Wenn die Kampagne draußen ist, ist das meistens zu spät.

Das ist keine kleine Herausforderung, aber sie kann mehr als sich lohnen.

Der Effie zählt für Kunden immer noch mehr als der Nagel. Und das nicht zu unrecht.


Pausen-Ausblick der Effie-Jury – dank Ogilvy.




Mittwoch, 7. September 2011

Kreativität ist ortsabhängig.

Die neue Jahresausgabe des Branchenverzeichnisses "Hamburgs Kreative" ist erschienen. Ich durfte ein Vorwort unter obiger Überschrift verfassen. Hier der Wortlaut:


Ein Kreativchef aus meinen ganz frühen Texter Tagen sagte gerne, wenn er einen seiner besseren Gedanken in den Raum warf: "Gut, was? Die Idee hatte ich auf dem Klo". Ich weiss nicht, warum er das dauernd sagte, aber damals war ich noch ziemlich naiv und die Aussage hat mich beeindruckt.

Bei der Darmentleerung hat er an Werbung gedacht. Schien ihn zu 
entspannen und Energie im Kopf frei werden lassen.

Ich habe auf dem Klo in den vergangenen 25 Jahren nicht eine einzige gute Idee hervorgebracht. Ich empfand das nie als einen Ort, der mich inspiriert. Inzwischen weiss ich aber, dass die Entleerung des Geistes ein ziemlich gutes 
Mittel ist, um auf andere Gedanken zu kommen.

Andere Gedanken zulassen zu können ist der erste gute Schritt, auf bessere Gedanken zu kommen. Denn andere Gedanken sind schon mal anders als immer die gleichen Gedanken.

Der ein oder andere Texter kennt vielleicht diesen reinigenden Prozess, erst mal den ganzen Phrasenmüll, der einem zu einem gewissen Thema oder einer gewissen Proposition so im Kopf herumschwirrt, auf ein Textmanuskript zu verbannen.

Platte Wortspiele, nahe liegende Formulierungen, üble Kalauer. Weg damit.

Liegen sie erst mal festgehalten vor mir, stören sie mich nicht mehr dabei, die besseren Gedanken im Kopf zu entwickeln.

Wer mir zugesteht, dass die Entleerung des Geistes ein guter Weg zu 
besseren Ideen ist, der wird mir vielleicht auch bei der These folgen, dass 
diese Art der Hirnwäsche nicht nur durch Öffnen der Schleusen, sondern auch durch Zersetzung erfolgen kann.

Wie zersetzt man seine Gedanken, die einem bei der Entwicklung von 
besseren Gedanken stören? Indem man etwas wahrnimmt, dass aufregender ist und die Alltagsphrasen an die Hirnrandgebiete drängt. Der semantische Durchschnitt wird degradiert, weil er gegen die neuen und spannenden 
Impulse keine Chance hat.

Und da kommt endlich Hamburg ins Spiel.

Ich gebe zu, es könnte auch Berlin sein. Oder London. Oder Paris. Es könnte aber auch Leinfelden-Echterdingen oder Klein Bengerstorf sein.

Kreativität und Ideen sind eine leicht verderbliche Ware. Der Kreative lebt vom Nährboden seines Umfeldes. Dort, wo seine Persönlichkeit, sein Charakter und seine Neigungen am besten befruchtet und dann auch konserviert werden, dort wird er seine besten Ergebnisse erzielen.

Ich habe Kreative kennengelernt, die in der Agentur A hervorragende Arbeiten geschaffen haben. Dann wurden sie in die Agentur B abgeworben, aber das Niveau ihrer Arbeit war nicht wieder zu erkennen. Erst als sie dann zu Agentur C gewechselt sind, kam wieder besseres Zeug von ihnen heraus.

Bei Städten kann das ähnlich sein.

Hier lassen sich nun für Hamburg all die Gründe ins Feld führen, die viele 
Kollegen in den Büchern vor mir auch schon genannt haben: Kiez, Hafen, 
Elbe, St. Pauli, Schanze, Treppenviertel, Hafenstrasse, etc.

Alles Inspirationsquellen einer Stadt, die ihre Chancen erhöhen, zersetzender für Routinegedanken zu sein als Klein Bengerstorf.

In meinem Fall auf jeden Fall.

Hamburg befruchtet mich persönlich mehr als Berlin, München oder jede 
andere deutsche Stadt.

In Hamburg gibt es jedoch zusätzlich zu den kulturellen Highlights noch eine Erscheinung, die die Stadt ganz besonders kreativ macht. Hamburg fährt in Deutschland die wohl größte Anzahl von fähigen Kreativen und Agenturen an einem einzigen Ort auf.

Ein Umfeld, dass einen motiviert und anstachelt, die normalen Gedanken ganz schnell zu verjagen, um besser zu sein als die Besten. Um Etats zu gewinnen. Medaillen. Oder sonst was.

Ich bin Schwabe. Aber ich möchte nicht zurück. Und ich möchte meine Ideen auch nicht auf dem Klo haben.

Ein größeres Kompliment kann ich Hamburg nicht bieten.


Das Bild zum Vorwort.