In der neuesten Ausgabe der w&v ist ein Artikel zur Headline zu lesen. Diesem Artikel liegt ein Treatment zugrunde, dass ich in den letzten Wochen verfasst habe. Hier sein Wortlaut:
Agenturen rechtfertigen ihr Dasein durch Ideen. Sie entwickeln Strategien, Konzepte und Kampagnen zur Bildung einer Marke und zur Steigerung des Verkaufs.
Ob online, ob offline, ob above-
oder below-the-line, ob crossmedial oder 360 Grad: wenn Marken Geld in kommunikative Maßnahmen investieren, versprechen sie sich eine Verbesserung des Images oder des Absatzes. Am besten gleich beides.
Der große Unterschied von Kreativagenturen zu den vielen anderen Dienstleisterungsunternehmen im Großraum Kommunikation (z.B. Mediaagenturen, PR-Agenturen, Filmproduktionen, Postproduktionen, Druckereien) ist natürlich die Qualität des
kreativen Personals.
Das ist ein ganz besonderer Schlag Menschen, die sich da diese Ideen ausdenken, sie mit Inhalten füllen und sie visualisieren.
Es sind Personen, die nicht von 9 bis 18 Uhr kreativ denken, sondern immer. Leute, die für eine Idee oder ein Projekt länger bleiben oder extra am Wochenende in die Agentur kommen.
Weil sie die Aufgabe reizt. Weil sie den Drang in sich verspüren, etwas Ungewöhnliches zu schaffen. Und jedes Briefing sofort darauf abklopfen, ob es die Chance bietet, etwas ganz Besonderes zu veröffentlichen. Etwas, das möglichst die ganze Welt sieht und darauf in der gewünschten Form reagiert. Sicher ist bei vielen Kreativen ein Hauch Selbstverwirklichungssucht, Verrücktheit und Eitelkeit dabei. Aber genau deshalb kommen auch immer wieder erfolgreiche Ideen heraus.
Wer immer nur sauber und gerade denkt, fliegt irgendwann aus der Kurve.
Die Kreativen bestimmen zum größten Teil die Attraktivität einer Kreativagentur. Sie schaffen die Ideen, von denen sich die Kunden der Agentur die Erreichung ihrer Ziele versprechen.
Doch in den letzten 10 Jahren hat sich etwas verändert in der Kunden-Agentur-Beziehung. Langsam, fast schleichend, ist der Respekt vor der kreativen Leistung vor die Hunde gegangen.
Das Preis-Leistungsverhältnis einer
Idee hat sich zuungunsten der Agenturen entwickelt.
Viele Agenturen verdienen inzwischen mit dem Gut am wenigsten Geld, das sie eigentlich ausmacht: mit Ideen.
Die Idee ist in vielen Fällen nur noch die Eintrittskarte für Leistungen, die sich um die Idee herum ergeben (Reinzeichnung, Bildbearbeitung, Kataloge, digitale Produktion, etc.).
Doch in diesem Denkmodell werden die Lücken auch immer größer, da es viele Kunden gibt, die sich nach einem gewonnenen Pitch eben diese Leistungen (z.B. Reinzeichnung) von vermeintlich günstigeren Spezialdienstleistern einkaufen.
Und so wird die Eintrittskarte „Idee“ immer mehr zu einem Ticket in die Sackgasse.
Je weniger Geld Agenturen mit ihrem Produkt verdienen, desto größer die Mühe, gute Kreative zu halten, die für die Erstellung dieses Produkt verantwortlich sind.
Dieser wenig inspirierenden Entwicklung liegt ein komplexes Mosaik aus Gründen zugrunde.
Ein großes Stück im Mosaik bildet die digitale Revolution. Die mit ihr einhergehende technischen Entwicklung, die es inzwischen vielen Anbietern möglich macht, Leistungen zum Dumpingpreis anzubieten, hat ein ehemaliges Hoheitsgebiet der Agenturen unterspült. Was vorher nicht möglich war (Postproduktion, Filmproduktion, Schnitt, etc.), kann heute fast jeder für ein überschaubares Investment auf die Beine stellen.
Ein weiterer Kern im Mosaik ist die wirtschaftlichen Achterbahnfahrt der letzten Jahre, mit dem Platzen der Dotcom-Blase in 2000 und der Finanzkrise in 2007. Diese riesigen Marktflauten haben zu einer finanziellen Dünnhäutigkeit und totalen Budgetverknappung geführt. Und zu der Legitimation, bei Vertragsverhandlungen über die Grenzen des Anstandes hinaus zu gehen.
Das Mosaik wird umrahmt durch die Tatsache, dass sich Agenturen bei der Vertragsverhandlung oder der Diskussion um Kostenvoranschläge immer mehr mit Einkaufsabteilungen auseinander setzen müssen. Die Einkäufer schreiben den Marketingabteilungen vor, wer den Auftrag bekommt.
Die Qualitätskontrolle über die Idee wird den Agenturen damit aus den Händen genommen. Trotzdem werden sie später am Ergebnis des Produktes gemessen. Dafür bleibt nur ein Wort: paradoxer Irrsinn.
Doch der größte Brocken im Mosaikdes Wertverfalles von Ideen ist von den Agenturen hausgemacht.
Er nennt sich Goldideen.
Für alle, die nicht wissen, was hinter diesem Begriff steckt: Agenturen entwickeln quasi kostenlos Ideen, die sie bei Wettbewerben einreichen können (um goldene Löwen, goldene Nägel oder goldene Pencils, goldene Etceteras zu gewinnen).
Dieser Gewinn wiederum schlägt sich in einem Medaillen-Ranking nieder, welches in der Fachpresse wie auch dem Manager Magazin veröffentlicht wird und die gewünschten PR-Effekte erzielt.
Goldideen gehören heute zum Marketingtool Nummer eins in einer Kreativagentur.
Durch die stetig wachsende Anzahl von Wettbewerben ist in den letzten Jahren eine Dynamik ins „Kreieren“ von Goldideen gekommen, die der Wertschätzung des Agenturproduktes „Idee“ immens geschadet hat.
Kunden sind es längst gewohnt, ausgezeichnete Ideen ohne Bezahlung (und auch ohne Auftrag) serviert zu bekommen.
Wettbewerbe bzw. deren Organisationen haben gelernt, die Eitelkeiten der Agenturen und Kreativen gnadenlos zu monetarisieren. Noch mehr Wettbewerbe, noch mehr Goldideen, noch mehr Administration, noch mehr Einsendegebühren. Und leider auch: noch mehr Presse.
Warum also aufhören?
Silber, Bronze, Shortlist – selbst hoch ausgezeichnete Ideen gehen heute schnell im Meer der vielen ausgezeichneten Ideen unter. Selbst die Halbwertszeit von Gold wird immer kürzer. Heute noch Rummel, morgen schon vergessen.
Hinzu kommen all die Online Kreativ-Archive, die dafür sorgen, dass es gute (und noch viel mehr mittelmäßige)
Ideen im Überfluss zu begutachten gibt.
Über die sozialen Netzwerke werden die neuesten Ideen sofort publik gemacht.
Die neueste Ausgabe der „Shots“ als DVD ist nicht mehr neu. Mindestens die Hälfte aller Spots hat man sowieso längst vorher schon irgendwo gesehen bzw. sie wurden einem „sozial nahegepostet“.
Kann man eigentlich der ganzen willkürlichen Goldideenflut noch Herr werden?
Wie können wir endlich wieder eine verdiente Wertschätzung für unser geistiges Produkt erreichen?
Die gute Nachricht unter all den negativen Strömungen: es ist nach wie vor unbestritten, dass eine gute Idee Geld wert ist. Sie verbessert ein Markenimage, sie fördert den Absatz, sie optimiert Produkte, sie bringt Menschen in Läden, sie bringt die Marke in die Presse, sie bringt die Marke in die sozialen Medien, sie motiviert die eigenen Mitarbeiter, sie sichert Arbeitsplätze.
Die Kraft einer guten Idee kann viel mehr leisten als jede andere Maßnahme in Unternehmen.
Also darf sie nicht umsonst sein. Und sie darf auch nicht zum Schleuderpreis eingekauft werden.
Es ist an den führenden Agenturen, wieder um den Wert ihrer Ideen zu kämpfen und bei Zuwiderhandlung
gegebenenfalls auf Aufträge zu verzichten.
Das Projekt, die Wettbewerbe auf die 5 bis 8 wichtigsten einzugrenzen, sollte wieder aufgenommen werden.
Der GWA muss sich mit mehr Vehemenz des Themas Pitch-Honorar annehmen.
Kostenlose Ausschreibungen oder Ausschreibungen, bei denen die Ideen, die nicht gewinnen, trotzdem dem Kunden gehören, schaden schlicht dem Wert unseres Produktes.
Nur, wenn wir uns wieder voll und ganz (in Agenturen, bei Kunden, bei Wettbewerben) auf Ideen konzentrieren, die sowohl kreativ ungewöhnlich sind als auch eine nachweisbare Wirkung erzielt haben, kommt der Respekt zurück.
Auf echten Kundenbriefings reinhauen. Und nicht auf Wettbewerbs-Ideen.
Es geht nämlich nicht nur um den Respekt der Kunden vor der Idee. Sondern auch um den Respekt unserer Mitarbeiter.
Die talentiertesten Kreativen wollen immer weniger Zeit auf der Tagesarbeit verbringen und sich stattdessen lieber stundenlang mit Goldideen beschäftigen.
Warum? In der Tagesarbeit werden ihre gute Ideen meistens durch die vielen Zwänge von Briefings und Kunden so verbogen, dass – im besten Falle – nur noch Durchschnitt an die Öffentlichkeit kommt.
Auch dieser Personenkreis muss wieder lernen, dass der wahre Thrill in der Veröffentlichung einer echt gebrieften Idee liegt.
Und schließlich kann es auch nicht sein, dass Agenturen aus Budgetgründen Mitarbeiter entlassen, aber sechsstellige Summen pro Jahr in Goldideen investieren.
Da ist ein Virus in den Köpfen der Macher, der eine gesunde Entwicklung verhindert. Doch wir brauchen dringend einen Prozess der Rekonvaleszenz.
Das erfordert viele gemeinsame Kräfte und gute Köpfe. Und wird für viele Teilnehmer wie eine Entziehungskur.
Doch wenn die Branche wieder Geld mit Ideen verdienen will, wird das nicht zu vermeiden sein.