In der neuesten Ausgabe der w&v ist ein Artikel zur Headline zu lesen. Diesem Artikel liegt ein Treatment zugrunde, dass ich in den letzten Wochen verfasst habe. Hier sein Wortlaut:
Agenturen rechtfertigen ihr Dasein durch Ideen. Sie entwickeln Strategien, Konzepte und Kampagnen zur Bildung einer Marke und zur Steigerung des Verkaufs.
Ob online, ob offline, ob above-
oder below-the-line, ob crossmedial oder 360 Grad: wenn Marken Geld in kommunikative Maßnahmen investieren, versprechen sie sich eine Verbesserung des Images oder des Absatzes. Am besten gleich beides.
Der große Unterschied von Kreativagenturen zu den vielen anderen Dienstleisterungsunternehmen im Großraum Kommunikation (z.B. Mediaagenturen, PR-Agenturen, Filmproduktionen, Postproduktionen, Druckereien) ist natürlich die Qualität des
kreativen Personals.
Das ist ein ganz besonderer Schlag Menschen, die sich da diese Ideen ausdenken, sie mit Inhalten füllen und sie visualisieren.
Es sind Personen, die nicht von 9 bis 18 Uhr kreativ denken, sondern immer. Leute, die für eine Idee oder ein Projekt länger bleiben oder extra am Wochenende in die Agentur kommen.
Weil sie die Aufgabe reizt. Weil sie den Drang in sich verspüren, etwas Ungewöhnliches zu schaffen. Und jedes Briefing sofort darauf abklopfen, ob es die Chance bietet, etwas ganz Besonderes zu veröffentlichen. Etwas, das möglichst die ganze Welt sieht und darauf in der gewünschten Form reagiert. Sicher ist bei vielen Kreativen ein Hauch Selbstverwirklichungssucht, Verrücktheit und Eitelkeit dabei. Aber genau deshalb kommen auch immer wieder erfolgreiche Ideen heraus.
Wer immer nur sauber und gerade denkt, fliegt irgendwann aus der Kurve.
Die Kreativen bestimmen zum größten Teil die Attraktivität einer Kreativagentur. Sie schaffen die Ideen, von denen sich die Kunden der Agentur die Erreichung ihrer Ziele versprechen.
Doch in den letzten 10 Jahren hat sich etwas verändert in der Kunden-Agentur-Beziehung. Langsam, fast schleichend, ist der Respekt vor der kreativen Leistung vor die Hunde gegangen.
Das Preis-Leistungsverhältnis einer
Idee hat sich zuungunsten der Agenturen entwickelt.
Viele Agenturen verdienen inzwischen mit dem Gut am wenigsten Geld, das sie eigentlich ausmacht: mit Ideen.
Die Idee ist in vielen Fällen nur noch die Eintrittskarte für Leistungen, die sich um die Idee herum ergeben (Reinzeichnung, Bildbearbeitung, Kataloge, digitale Produktion, etc.).
Doch in diesem Denkmodell werden die Lücken auch immer größer, da es viele Kunden gibt, die sich nach einem gewonnenen Pitch eben diese Leistungen (z.B. Reinzeichnung) von vermeintlich günstigeren Spezialdienstleistern einkaufen.
Und so wird die Eintrittskarte „Idee“ immer mehr zu einem Ticket in die Sackgasse.
Je weniger Geld Agenturen mit ihrem Produkt verdienen, desto größer die Mühe, gute Kreative zu halten, die für die Erstellung dieses Produkt verantwortlich sind.
Dieser wenig inspirierenden Entwicklung liegt ein komplexes Mosaik aus Gründen zugrunde.
Ein großes Stück im Mosaik bildet die digitale Revolution. Die mit ihr einhergehende technischen Entwicklung, die es inzwischen vielen Anbietern möglich macht, Leistungen zum Dumpingpreis anzubieten, hat ein ehemaliges Hoheitsgebiet der Agenturen unterspült. Was vorher nicht möglich war (Postproduktion, Filmproduktion, Schnitt, etc.), kann heute fast jeder für ein überschaubares Investment auf die Beine stellen.
Ein weiterer Kern im Mosaik ist die wirtschaftlichen Achterbahnfahrt der letzten Jahre, mit dem Platzen der Dotcom-Blase in 2000 und der Finanzkrise in 2007. Diese riesigen Marktflauten haben zu einer finanziellen Dünnhäutigkeit und totalen Budgetverknappung geführt. Und zu der Legitimation, bei Vertragsverhandlungen über die Grenzen des Anstandes hinaus zu gehen.
Das Mosaik wird umrahmt durch die Tatsache, dass sich Agenturen bei der Vertragsverhandlung oder der Diskussion um Kostenvoranschläge immer mehr mit Einkaufsabteilungen auseinander setzen müssen. Die Einkäufer schreiben den Marketingabteilungen vor, wer den Auftrag bekommt.
Die Qualitätskontrolle über die Idee wird den Agenturen damit aus den Händen genommen. Trotzdem werden sie später am Ergebnis des Produktes gemessen. Dafür bleibt nur ein Wort: paradoxer Irrsinn.
Doch der größte Brocken im Mosaikdes Wertverfalles von Ideen ist von den Agenturen hausgemacht.
Er nennt sich Goldideen.
Für alle, die nicht wissen, was hinter diesem Begriff steckt: Agenturen entwickeln quasi kostenlos Ideen, die sie bei Wettbewerben einreichen können (um goldene Löwen, goldene Nägel oder goldene Pencils, goldene Etceteras zu gewinnen).
Dieser Gewinn wiederum schlägt sich in einem Medaillen-Ranking nieder, welches in der Fachpresse wie auch dem Manager Magazin veröffentlicht wird und die gewünschten PR-Effekte erzielt.
Goldideen gehören heute zum Marketingtool Nummer eins in einer Kreativagentur.
Durch die stetig wachsende Anzahl von Wettbewerben ist in den letzten Jahren eine Dynamik ins „Kreieren“ von Goldideen gekommen, die der Wertschätzung des Agenturproduktes „Idee“ immens geschadet hat.
Kunden sind es längst gewohnt, ausgezeichnete Ideen ohne Bezahlung (und auch ohne Auftrag) serviert zu bekommen.
Wettbewerbe bzw. deren Organisationen haben gelernt, die Eitelkeiten der Agenturen und Kreativen gnadenlos zu monetarisieren. Noch mehr Wettbewerbe, noch mehr Goldideen, noch mehr Administration, noch mehr Einsendegebühren. Und leider auch: noch mehr Presse.
Warum also aufhören?
Silber, Bronze, Shortlist – selbst hoch ausgezeichnete Ideen gehen heute schnell im Meer der vielen ausgezeichneten Ideen unter. Selbst die Halbwertszeit von Gold wird immer kürzer. Heute noch Rummel, morgen schon vergessen.
Hinzu kommen all die Online Kreativ-Archive, die dafür sorgen, dass es gute (und noch viel mehr mittelmäßige)
Ideen im Überfluss zu begutachten gibt.
Über die sozialen Netzwerke werden die neuesten Ideen sofort publik gemacht.
Die neueste Ausgabe der „Shots“ als DVD ist nicht mehr neu. Mindestens die Hälfte aller Spots hat man sowieso längst vorher schon irgendwo gesehen bzw. sie wurden einem „sozial nahegepostet“.
Kann man eigentlich der ganzen willkürlichen Goldideenflut noch Herr werden?
Wie können wir endlich wieder eine verdiente Wertschätzung für unser geistiges Produkt erreichen?
Die gute Nachricht unter all den negativen Strömungen: es ist nach wie vor unbestritten, dass eine gute Idee Geld wert ist. Sie verbessert ein Markenimage, sie fördert den Absatz, sie optimiert Produkte, sie bringt Menschen in Läden, sie bringt die Marke in die Presse, sie bringt die Marke in die sozialen Medien, sie motiviert die eigenen Mitarbeiter, sie sichert Arbeitsplätze.
Die Kraft einer guten Idee kann viel mehr leisten als jede andere Maßnahme in Unternehmen.
Also darf sie nicht umsonst sein. Und sie darf auch nicht zum Schleuderpreis eingekauft werden.
Es ist an den führenden Agenturen, wieder um den Wert ihrer Ideen zu kämpfen und bei Zuwiderhandlung
gegebenenfalls auf Aufträge zu verzichten.
Das Projekt, die Wettbewerbe auf die 5 bis 8 wichtigsten einzugrenzen, sollte wieder aufgenommen werden.
Der GWA muss sich mit mehr Vehemenz des Themas Pitch-Honorar annehmen.
Kostenlose Ausschreibungen oder Ausschreibungen, bei denen die Ideen, die nicht gewinnen, trotzdem dem Kunden gehören, schaden schlicht dem Wert unseres Produktes.
Nur, wenn wir uns wieder voll und ganz (in Agenturen, bei Kunden, bei Wettbewerben) auf Ideen konzentrieren, die sowohl kreativ ungewöhnlich sind als auch eine nachweisbare Wirkung erzielt haben, kommt der Respekt zurück.
Auf echten Kundenbriefings reinhauen. Und nicht auf Wettbewerbs-Ideen.
Es geht nämlich nicht nur um den Respekt der Kunden vor der Idee. Sondern auch um den Respekt unserer Mitarbeiter.
Die talentiertesten Kreativen wollen immer weniger Zeit auf der Tagesarbeit verbringen und sich stattdessen lieber stundenlang mit Goldideen beschäftigen.
Warum? In der Tagesarbeit werden ihre gute Ideen meistens durch die vielen Zwänge von Briefings und Kunden so verbogen, dass – im besten Falle – nur noch Durchschnitt an die Öffentlichkeit kommt.
Auch dieser Personenkreis muss wieder lernen, dass der wahre Thrill in der Veröffentlichung einer echt gebrieften Idee liegt.
Und schließlich kann es auch nicht sein, dass Agenturen aus Budgetgründen Mitarbeiter entlassen, aber sechsstellige Summen pro Jahr in Goldideen investieren.
Da ist ein Virus in den Köpfen der Macher, der eine gesunde Entwicklung verhindert. Doch wir brauchen dringend einen Prozess der Rekonvaleszenz.
Das erfordert viele gemeinsame Kräfte und gute Köpfe. Und wird für viele Teilnehmer wie eine Entziehungskur.
Doch wenn die Branche wieder Geld mit Ideen verdienen will, wird das nicht zu vermeiden sein.
20 Kommentare:
Die Symptome beschreibst sehr zutreffend (soweit ich das als Außenseiter sagen kann). Aber da gibt es eine Ursache für den Wertverfall der Kreation in den Agenturen ...
Sicherlich kennst du die siegreiche Arbeit für den Wettbewerb "Komm in die Werbung" (http://www.youtube.com/watch?v=1TfJVtHnG2A&feature=player_embedded)? Gab viel Beifall. Von Kreativen. Weil sich vermutlich kein Kreativer vorgestellt hat, wie dieser Film auf die Kunden von Werbeagenturen wirkt ...
Das Problem ist weniger die mangelnde Wertschätzung der harten Arbeit an der Idee. Das Problem ist, dass die Kunden das (nicht unbegründete) Misstrauen hegen, dass sich in den Werbeagenturen auch eine Menge halb-infantiler Marketing-Dilettanten zusammengerottet haben (ich sage bewusst Marketing, nicht Werbung). Oder anders gesagt: Wo sind die Berater, die den Namen verdienen? Die sich auf der Höhe der Komplexität befinden, der sich die Agenturkunden heute ausgesetzt sehen? Haben die Kunden denn noch das Gefühl, das ihnen von Agenturen wirklich geholfen werden kann? Eine nette Idee ist eben auch nicht mehr als eine nette Idee.
Abgesehen davon: Von den schätzungsweise 3,5 Millionen Job-Nummern, die in deutschen Agenturen jährlich durchlaufen, sind wie viele auf dem Niveau echter Originalität, wenn du Zahl der Auszeichnungen und Nägel dazu in Relation setzt? 99,995% sind eben Brot und Butter Jobs. Eine "Value Added Kreation" bräuchte aber IMHO vor allem auch viel mehr KOmpetenz in Planning und Beratung (Berater sind ja meist nur noch das, was in anderen Branchen "Vertriebsmitarbeiter" heißt). Und ich möchte nicht wissen, wie viele Art Direktoren und Texter von Marketing kaum den geringsten Schimmer haben ... Kurzum: Vor der Entwertung der Kreation lag der langjährige Rückbau der Marketing-Kompetenzen in den Agenturen insgesamt ... und dann kommt man nicht ganz zu Unrecht unter Honorardruck.
So lange Junioren und Jobhopper ohne Verantwortungsgefühl die Macht haben, einen Kunden ins Unglück zu reiten, so lange die Idee mehr dem Gold als dem Verkauf zugewandt ist und so lange das Zusatzgeschäft zwecks Zahlung überhöhter Mieten für Luxusvillen als Agentursitz höher im Kurs steht als der Nutzen für den Werbungtreibenden - so lange haben Agenturen nicht das Recht, ernstgenommen zu werden. Medaillen müssen das Material auch wert sein.
Wir Freelancer hätten längst nicht den Zulauf, wenn Agenturen die Ziele des Kunden statt den Selbstzweck im Fokus hätten.
geschätzte runde.
erstmal danke für den blog, wirklich sehr treffend und zeitgemäss. kann das alles untersteichen und verstehe sogar den eher kritischen kommentar von fritz - obwohl dieser extrem pauschalisiert und definitiv nicht immer zutrifft. aber das würde jetzt den kommentar-rahmen sprengen.
ich persönlich sehe hier ein umdenken, zeit für neue agenturmodelle. und, ganz ehrlich, ich freue mich sehr auf die neuen agenturen.
grüsse, gerade aus zürich, pascal
freier berater und www.ideenbeschleuniger.com
Die Wahrheit liegt wie immer in der Wechselwirkung. Deshalb sind Stefans Beobachtungen klug und richtig, aber auch die meiner vorausgegangenen Kommentatoren, nur nicht ganz so klug und richtig. Denn solange es Facebook-Seiten wie "Beratersprech" gibt und "Kundenschnack" kann niemand von der Hand weisen, dass Bullshit-Fontänen auf beiden Seiten der Beziehung sitzen. Ich weiß, dass einige meiner ehemaligen Beraterkollegen den Quatsch ihrer Marketingkollegen - frische Studienabgänger, die sich plötzlich Brand-Manager nennen - einfach nur widerspiegeln, weil sie hoffen, dann besser verstanden zu werden.
.... dem nichts mehr hinzuzufügen ist.
danke stefan, danke leagas!
@Fritz: Wenn ein Abbau deiner sogenannten Marketingkompetenz in Agenturen stattfand, dann mit größter Wahrscheinlichkeit auch, weil Agenturen für ihre origiänren Leistungen (Ideen/Beratung) einfach nicht mehr entsprechend bezahlt werden. Im übrigen findet dieser Kompetenz-Abbau auch auf Kundenseite statt. Was nicht gerade zur Wertsteigerung einer Marke beiträgt.
@Simone: Du reitest hier auf einem Klischee rum, dass ich in über 20 Jahren Werbung nie erlebt habe. Ich war in keiner einzigen Luxusvilla untergebracht. Und kenne auch nur ganz wenige, die das getan haben. Aber das ist auch schon rund 15 Jahre her.
Danke für diesen Beitrag. Er spricht mir aus der Seele. Ungefiltert steuere ich mal meine Gedanken dazu bei: Wir verschenken seit vielen Jahren unsere besten Ideen an unsere Kunden. Wie sollen die uns ernst nehmen? Wir sind schon zufrieden, wenn wir ein Sign off für eine Idee kriegen und die auch noch selber finanzieren, um sie dann einzureichen. Da wo die Musik spielt und wo es auf Umsetzungsexzellenz ankommt, sind wir Deutschen nur selten auf dem Treppchen, wie beim Titanium Löwen. Und genau da hinken wir auch hinterher. Natürlich sind wir Deutschen nicht die mutigsten, also können es unsere Kunden auch nicht sein. Aber was ist an einer tollen Idee, die zur Marke passt und Weltklasse umgesetzt ist denn mutig? Was ist an Volkswagen The force ein Experiment? Was an Jay-Z/Bing? Was an Old Spice? Wir müssen unsere Kunden jeden Tag vom besseren überzeugen und dafür braucht man das Vertrauen der Kunden. Die Kunden haben heute einen wahnsinnigen Druck und dürfen kaum Fehler machen. Unsere Aufgabe ist es, sie erfolgreich zu machen. Und die Beispiele aus der ganzen Welt zeigen, dass das auch mit Tagesgeschäft geht. Es ist nur viel anstrengender als Goldideen zu machen.
Ist sicherlich richtig, dass ich oben stark pauschalisiert habe. Aber etwas Hitze ist ja manchmal gut für die Debatte.
@SZ: Ich würde den Komptenzschwund nicht als Folge des Einnahmenschwunds sehen. Die Berater haben schon seit den 80er Jahren immer mehr die Aufgabe bekommen, aus Kundenbeziehungen irgendwie Geschäft herauszuholen. Kompetenzen wurden zu "shared services": strategsiches Denken machen Planner, mit Zielgruppen kennt sich der Marktforscher aus, für Medienstrategie gibt 's auch jemanden extern etc. Was bleibt da für den Berater? Statusbericht schreiben, Rechnung verschicken, Meetings bevölkern, Meinungen beisteuern. Kunden so zu beraten, dass ihr Geschäft wächst - wer hat in den Agenturen diese Aufgabe? Abgesehen davon gibt es auch eine relative Entwertung der Kompetenz, weil das heutige Umfeld (medial und wettbewerblich für die Kunden) anspruchsvoller ist als z.B. Anfang der 90er Jahren (so wie ein Graphiker relativ an Kompetenz verliert, wenn er sich nicht technisch auf dem Laufenden hält). In dieser Situation ist es natürlich gefährlich, wenn man als Agentur dann in der inneren Haltung auf dem Primat der schönen Idee verharrt, als hätte sich seit 1990 nichts getan in der Konsumwelt.
Beispiel: JvM mit der "Tramp a Benz" Geschichte (oder wie das hieß). Ich fand das - Schande auf mein Haupt - sowieso nicht so doll, weil spürbar gefaket, geschauspielert und geschönt. Aber: Was kostet so eine Aktion und was bringt sie dem Kunden unterm Strich? In der Agentur wird das niemand diskutieren. Man freut sich über ADC und Cannes, aber bloß nicht die Sinnfrage stellen. In meinen Augen für die Verjüngungsstrategie von Mercedes am Rande der Nutzlosigkeit. Aber nützlich für die Agentur ...
Diese Debatte ist natürlich nicht neu. Amir Kassaei hat ja schon vor Längerem gefordert, die Agenturen müssten mehr in die Rolle von Unternehmensberatungen schlüpfen. Allerdings - und damit gebe ich SZ und den Mitdiskutanten recht: Vielleicht ist es eben auch Sache der Kunden, die Agenturen zu fordern und so eng in den Clinch mit dem kretaiven Potenzial zu gehen, dass die angestrebte Wertschöpfung durch Werbung tatsächlich entsteht.
Ach, heul doch.
In der Zeit, in der Du diesen "Beitrag" geschrieben hast, hättest Du für Deine Agentur richtige Arbeit leisten können (Arbeitsplätze sichern, Marken nach vorne bringe, beweisen, dass Du wirklich kreativ bist).
Weniger sich selber feiern ist angezeigt, das betrifft Dich genauso wie die Branche. Los, hau rein, mach den Unterschied.
@Anonym: völlig unbrauchbar @Stefan: Alles richtig. Nur...von einer Branche, die für The Next Big Thing steht, hätte man solche Erkenntnisse bereits vor drei Jahren erwartet. Mittlerweile müsste längt eine Lösung da sein, die mehr umfasst als das Weglassen von Goldideen oder den Rückzug aus dem Kreativpreisirrsinn. Und wenn man beschließt, sich wieder auf das Verkaufen von Ideen zu konzentrieren, darf man sich auch gleich in die Auftraggeber hineinversetzen und deren Zurückhaltung verstehen lernen, die zum Teil darin begründet ist, dass man sich dort fragt: Was sollen das für tolle Ideen sein, für die wir mehr bezahlen sollen und die von einer Branche stammen, die sich von ihren einstigen S&J- Ansprüchen verabschiedet hat und dazu ständig alles verpasst, wie Web 1.0, Web 2.0 ? Eine Branche, die dem Thema Social Media fast schon servil begegnet und sich tatsächlich feiert, wenn ein (in Zahlen 1) Agenturinhaber mal ein paar Filmchen auf Jutube hochlädt oder ganz, ganz viele Schulaufsätze schreibt und diese als Blog verkauft?
In den letzten zwei Jahren hat sich mehr verändert als in den acht Jahren davor. Und wir kritisieren immer noch Goldideen und sehen zu, wie der kreative Nachwuchs in die Arme einer Piratenpartei flüchtet, weil offenbar nur noch dort jene Menschen zu finden sind, die ein Klima der Unangepasstheit fördern, wie es einst die Kreativbranche begründete? Im Zeitalter sich durchmischender Kompetenzen könnte sich die Piratenpartei sogar zu einer neu formatierten Kreativagentur entwickeln, wodurch sie mehr Geldmittel zur Verfügung hätte als die korrupten Etablierten. Oder anders gesagt: Die Piratenpartei demonstriert, was sich die Kreativbranche schon vor Jahren auf die Fahnen hätte schreiben können: Die Gestaltung eines ganzen Landes in Angriff zu nehmen. Der Ausbau von kreativ-politischem Einfluss. Davon braucht es mehr. Und welchen Beitrag die Kreativbranche dazu leisten könnte, steht hier: http://frei.posterous.com/
Anfang Oktober habe ich dem ADC das Angebot gemacht, zu dem Thema eine Präsentation zu halten. Die Antwort steht noch aus. Keine Bange, es wird eine sehr, sehr freundliche Gehirnwäsche.
Marina Weisband, Geschäfsführerin der Piraten, twittert zu Berichten, die sich mit ihrem jüdischen Glauben beschäftigen: "Ich lese ja am liebsten die Nazi-Presse. Sie ist so optimistisch. Da haben wir immer Geld und Macht." Im Vergleich dazu der typische Wortlaut der CDU: "Im Mittelpunkt unserer Politik stehen jene Menschen, die zur Arbeit gehen, Steuern zahlen, Kinder groß ziehen und sich an die Regeln halten. Wir bekennen uns zum Leistungsprinzip und fordern von der Bundesregierung die Einlösung der im Koalitionsvertrag steuerpolitischen Zusagen." Das sagte der Mittelstandsmann Dr. Josef Schlarmann im Frühjahr. Und nach dem Wahlsieg der Grünen in BW tat sich Volker Buch, ebenfalls CDU, mit den Worten hervor: "Ich kann verstehen, dass man mit 45 Jahren noch mal von vorne anfangen möchte, auch wenn ich das als CDU-Politiker eigentlich nicht gut finden darf."
Das zeigt, wie weit die Generationen in ihrem Denken auseinander driften. Auf der einen Seite eine angriffslustige Mittzwanzigerin, die man vor zehn Jahren in die Kreativbranche geholt und zur Texterin gemacht hätte (die aber heute garantiert nicht mehr für einen solchen Schritt zu gewinnen wäre, weil sie mehr gestalten will als nur Werbung). Auf der anderen Seite das Gerede der Etablierten und geistig wenig Flexiblen. Frage: Auf welcher Seite sieht man wohl die angeblich jugendfixierte Kreativbranche? Ich meine aus der Sicht jener, die nach 1975 geboren wurden und auf Kundenseite immer mehr die Werbe- und Projektleitung übernehmen?
Die junge Gründergeneration wird mit großen Investitionssummen überschüttet, aber kein Investor steckt seine Gelder in eine Kreativagentur. Für die kreativen Institutionen GWA und ADC lassen sich noch nicht einmal Sponsoren finden, die einmal im Jahr ein Fest mitfinanzieren (so kann man auch Werbung für sich machen). Und der Vorzeigeagentur JvM gelingt es immer häufiger, mit entlehnten Ideen in die Presse zu kommen, wie jetzt im aktuellen Freitag. All das müsste bei den Kollegen, die die Kreativbranche wirklich lieben, zu großen Kränkungen führen, was gewünscht ist, denn aus einer großen Kränkung kann massive Kraft entstehen. Zum Beispiel für einen Befreiungsschlag. Noch haben wir die Möglichkeit dazu.
@Hans Albert - wo du gerade Gründergeneration sagst: Da gibt es gerade mit religiösem Eifer geführte Debatten über die Frage, ob man Geschäftideen (Zappos->Zalando, Cafepress->Spreadshirt) einfach so kopieren darf. Mein unreflektierter Eindruck: Die mit den Ideen sagen nein, die mit den Portemonnaies ja.
Die Diskussion ist ja wahrlich nicht neu und ich kann eigentlich alles unterstreichen was hier gepostet wurde.
Ich würde nur einen Schritt weitergehen wollen. Dieser ganze Goldwahnsinn hat - meiner Meinung nach - mehr kaputt gemacht als wir uns vorstellen wollen.
Man stelle sich nur vor ab morgen gäbe es keine einzige Award-Show mehr. Was würde sich wirklich ändern? Glaubt jemand wirklich, dass dann TOP-Kreation im Tagesgeschäft entstehen würde?
Vllt. würde es etwas besser werden, mehr aber auch nicht. Wir haben uns im Tagesgeschäft soviele Instrumentarien geschaffen, die nur noch auf "alles richtig machen" gemünzt sind, dass wirklich neue Kreation gar nicht mehr entstehen kann.
Statt "Bauch" regiert nur noch der "Kopf". Briefings werden wochenlang durch die Strategie gewürgt, dass am Ende ein 0-8-15 Briefing herauskommt.
Aktueller Strategie-Trend: INDIVIDUALITÄT! Ob Klo-Reiniger oder Luxus-Limousine, alles ist "wie für den einzelnen Kunden " gemacht.
Die Mafo erledigt dann den Rest und TA-TAAA: der Millionste Vignetten-Film ist geboren! So kann man ja jede Zielgruppe abbilden. Oder alternativ: Wir machen eine Kampagne mit echten Kunden!!! Geil, oder?
Und um den ganzen dann den endgültigen Mainstream-Todesstoß zu versetzen, sollte die Kampagne 360-Grad-Totally-Integrated sein. Heißt: Eine Kampagne entwickeln, die ein so breites Dach hat, dass sie sich bis zum Regal-Wobbler durchzieht.
Egal, dass der Kunde nur Kohle für max. 120 Grad hat, aber wir entwickeln Kampagnen, die so generisch und abgeklopft sind, dass du am Ende überhaupt nicht mehr weißt: "Hat das jetzt Grey oder Jung von Matt gemacht?"
Ist eigentlich mittlerweile wie in der Politik: Jeder hat dasselbe Parteiprogramm, eine wirkliche Agentur-DNA gibt´s schon lange nicht mehr.
Was ich sagen will: Wir arbeiten, meiner Meinung nach, täglich mehr an unserer eigenen Bedeutungslosigkeit.
Nur "Goldideen" abzuschaffen reicht da schon lange nicht mehr aus.
@Marc: 1995 waren wir noch nicht so weit, um hier mitzumachen. 2000 auch nicht. Doch mittlerweile haben wir die Technik und die entsprechenden Leute, um uns einen Teil des Gründerkuchens zu sichern. Machen wir also zunächst die Kopien besser und schieben wir mit etwas mehr Erfahrung das Neue hinterher. Hauptsache, wir tauchen ein in diesen Geldstrom, um die Kriegskasse wieder zu füllen, um auch mal Nein sagen zu können oder wie Don Draper zu einem uneinsichtigen Auftraggeber: "Sie verschwenden meine Zeit." Gefährlicher ist es, wenn wir weiterhin unsere Kernkompetenz Kreativität verlassen und uns noch mehr der Reklame zuwenden, weil die Gehälter ja irgendwie bezahlt werden müssen. Auf Dauer helfen wir damit keinem Kunden und schrecken den Nachwuchs ab, den wir jedoch brauchen, um neue Richtungen zu entwickeln. Denn auch dafür sind Kreativagenturen da: Um dem Nachwuchs ein Milieu zu bieten, in dem er noch stärker aus sich herauskommt. Also keine Werbebehörde, wie sie "Anonym" gerade erlebt, sondern eher das, was Legas Delaney mal für Porsche textete: "Wir sperren unsere Ingenieure so lange ein, bis wir sie hinter der Tür kichern hören wie kleine Kinder." Vergessen sollten wir auch nicht, dass kein anderes europäisches Land seine Klassische Werbung derart gekippt hat, wie das technikverliebte Deutschland. Engländer wundert das nicht. Sie erklären sich dieses kulturelle Verhalten seit 100 Jahren so: "Die Deutschen treiben eine Sache immer so weit, bis eine böse daraus geworden ist." Hoffnung besteht trotzdem. Auch bei uns zeigt sich, dass Qualität wieder im Kommen ist, weil die Zielgruppen gelernt haben, sich durch das Schlechte effektiver durchzuwühlen, um das Bessere schneller zu finden. Heute reißt ein richtig guter Spot die Leute viel mehr aus ihrem Standby-Modus als noch vor zehn Jahren. Aber solche Arbeiten kosten eben viel Geld und viel Liebe, und sie setzen auch etwas mehr Wertschätzung auf Kundenseite voraus. Beispiel axe_meine_freundin_ist_ein_engel. Wie gesagt, bis dieses Umdenken auch bei uns stattfindet, sollten wir die Zeit nutzen und einige StartUp´s auf den Markt werfen - als die künftigen und besseren Brot- und Butter-Jobs (Danke Fritz;)
@Hans-A.: Deine Ausdauer zu diesem Thema ist bewundernswert. Allein mit deinen Kommentaren hier und auf FB kann man schon einen Aktenordner anlegen.
Das Thema scheint ins Herz der Kreativen zu stechen. Dieser Beitrag ist in der Historie meines Blogs der meistgeklickte innnerhalb eines Tages.
In vielen Dingen gebe ich dir recht. Aber das sind häufig Randbereiche. Der Focus muss auf den Kunden und ihren Bedürfnissen bleiben.
Sie befinden sich längst nicht in dem Maße im digitalen Revolutionsrausch wie wir.
Zu recht übrigens, denn da wird viel zu viel hyperventiliert (vor allem in Deutschland).
Kunden dürfen von einer Agentur dieser Zeit erwarten, dass sie die richtigen Ideen, Konzepte und Medien auf dem Weg zu ihrem Ziel findet. Da sind jetzt durch die digitale Entwicklung noch ein Haufen neuer Kanäle, Chancen und Möglichkeiten hinzu gekommen.
Was aber an der Tatsache nichts ändert, dass die Kunden uns für unsere Ideen nicht mehr adäquat bezahlen wollen.
Da hilft nur Haltung. Je mehr Agenturen das tun, desto schneller kommt der Erfolgt. Was aber einfacher gesagt als getan ist.
Wenn du dich nach einem Präsentationsmarathon endlich kurz vor dem Ziel wähnst doch der Kunde gibt sich bei den Vertrags- und Konditionsverhandlungen unnachgiebig, dann gehören schon richtig dicke Eier dazu, nein zu sagen und alles abzublasen.
@Stefan, da hast du recht. Und auch Boris Becker brachte es auf den Punkt: "Du musst das Spiel lieben, wenn du es gewinnen willst." Das heißt für die Kreativbranche: Du musst die Zielgruppe auch mal mit anderen Augen sehen und viel mehr mit ihr verschmelzen, um ihre Bedürfnisse zu ergründen. Deshalb setze ich mich (zusätzlich) für die Kreative Marketingforschung ein, die Auftraggeber und Agentur vor Augen führt, dass man für die gleiche Sache kämpft, weshalb man sich auf den letzten Metern auch nicht gegenseitig abwürgen muss. Die Kreative Marketingforschung zeigt die Zielgruppen noch authentischer, zerbrechlicher, menschlicher. Gibt es eine Gruppendiskussionen, werden die Teilnehmer abgeholt, damit sie nicht selbst mit dem Auto fahren müssen. Denn nur so können sie das machen, was die meisten Menschen nun mal tun, wenn sie eine Art von Zusammentreff haben und aufgeregt sind: sie glühen vor. Man merkt ihnen das in der Gruppendiskussion und auf den Videos nicht, aber die Aussagen werden schon verblüffender und anregender. Spätestens da mag man sie so sehr, dass man auch etwas Großartiges für sie leisten will.
P.S. ...die Leute auf dem Lande (also fernab der Metropolen, wo die meisten Zielgruppen leben) glühen übrigens auch vor, wenn wir sie einzeln in ihrem Zuhause videointerviewen, weshalb man auch von "drogengestützter Marketingforschung" sprechen könnte. Weil diese Drogen bzw. der geringfügig eingesetzte Alkohol jedoch zu mehr Kreativität führen, heißt es "Kreative Marketingforschung"
Die ganzen goldideen u awards sind doch ehrlich gesagt, eigentlich Schwachsinn. In welcher Branche ist bitte die selbsbeweihräucherung und der schwanzlängenvergleich so ausgeprägt wie in der Werbung.
Man sollte lieber dafür sorgen das die Struktur einer Agentur tolle Ideen zulässt und nicht schon in der strategie total verbohrt zurecht gezurrt werden, man genug Spezialisten hat die sie dem Kunden auch verkaufen können, mit jedem wenn und aber auch dahinter stehen und durch absatzzalem, etc. Beweisen das es der richtige weg ist.
Im Prinzip ist doch da der effie am seriösesten. Oder wo wird noch gewürdigt was die entsprechende Kampagne für das jeweilige Projekt geleistet hat.
Das ist doch alles worauf es ankommt. Was hat die Kampagne für das Produkt geleistet.
Es bringt doch niemanden eine geile Idee über die die ganze Welt spricht, wenn man das Produkt dann doch nicht kauft.
Mal vorab: Grundsätzlich stimme ich dir zu.
Aber ich lese auch Sätze wie: "Die talentiertesten Kreativen wollen immer weniger Zeit auf der Tagesarbeit verbringen und sich stattdessen lieber stundenlang mit Goldideen beschäftigen."
Und dann liest man wen ihr den so sucht: "Creative Director Art. Medaillenverdächtiges Portfolio."
Vielleicht mal Zeit eure Jobbeschreibungen zu überdenken? :)
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