Ein befreundeter Creative Director erzählte mir neulich beim Lunch, dass er einen neuen Etat von einem anderen CD in der Agentur übernommen hat.
Er wurde von besagtem Kunden mit den Worten begrüßt: „Kommen Sie auch nur vorbei, wenn es um Medaillen geht oder können wir mit Ihnen auch mal über unsere Tagesarbeit reden?“.
Diese Begebenheit charakterisiert das Dilemma, in dem sich Agenturlenker heute befinden.
Es ist eine Leier, die besonders in diesem Blog ziemlich abgenudelt ist, aber für den Unkundigen sei dem Verständnis zu Liebe kurz erklärt, dass Awards für viele Agenturen ein zentrales Image-Instrument sind.
Zum einen, um über die Presse, die permanent Rankings und Awards thematisiert, als kreative Agentur im Gespräch zu sein (ich will mich gar nicht beschweren, wir selbst haben dieses Jahr besonders davon profitiert).
Zu anderen aber auch, um bessere Mitarbeiter zu bekommen. Gute Kreative (aber durchaus auch gute Berater) gehen lieber zu einer Agentur, die für „geile Kreation“ bekannt ist.
Nun wissen wir alle, dass diese „geile Arbeit“ zu 70% aus künstlicher Kreation besteht.
Arbeiten, die speziell für Wettbewerbe erstellt werden. In welcher Kombination auch immer (auf echten Briefings oder auf selbst initiierten Briefings bzw. Kundenkontakten).
Ich nenne letzteres gerne „Schwulen-Sauna-Kreation“ (weil es mal eine Goldmedialle für eine Anzeige einer Schwulen-Sauna gab).
Ganz klar, Awards sind ein hoch drehender Motor für eine Agentur wie unsere, weil sie Mitarbeiter motivieren. Besonders in der Kreation.
So bringen diese Mitarbeiter viel Energie für ihre Goldideen auf. Viel Energie heisst auch viel Zeit. Was dazu führt, dass die von Awards ganz besonders betörten Kreativen ihr Tagesgeschäft allzu pragmatisch abbacken. Im schlimmsten Fall (siehe oben) interessiert es sie gar nicht.
Je mehr Betörtheit in einer Agentur vorherrscht, desto größer die Gefahr des Kolbenfressers.
Das, womit eine Agentur ihr Geld verdient (und übrigens auch die Goldjungs), wird nachlässig bearbeitet. Besonders fatal, weil ich der Überzeugung bin, dass viele Briefings mit mehr Engagement und Durchhaltevermögen auch bessere Ideen zulassen würden.
Doch Durchhaltevermögen heisst Zeit. Und natürlich verbringen professionelle Goldjäger ihre kostbaren Kreativminuten lieber mit Projekten, auf denen sie größere und leichtere Awardchancen sehen.
Als Agenturchef kann man nur darauf achten, dass die Balance in den Teams stimmt. Und die Feststellung, dass der Kreations-Motor an Überhitzung leidet, nicht dem Kunden überlassen muss.
Die hohe Kunst einer Agentur ist immer noch, auf echte Briefings Ideen zu produzieren, die für den Kunden die gewünschte Wirkung erzielen. Und wenn es ideal läuft, gewinnen diese Ideen auch noch Preise.
5 Kommentare:
EIN WAHRES WORT.... DU HAST SO RECHT !....
TAGESARBEIT SO TOLL MACHEN; DASS ES GOLD GEWINNT... das ist es.. !
Grüsse und sorry für VFB...
B
Bullshit, so lange es Chefs gibt, denen die Awardliste beim Einstellungsgespräch wichtiger ist als das Tagesgeschäft. Und so lange Chefs auch nur Leute fördern, die regelmäßig ihre Punkte machen. Mir geht das Gejammer dermassen auf die Eier, dass ich beim Lesen solcher Texte regelmäßig das kotzen bekomme. Jahrelang haben das alle gemacht und alle die davon profitiert haben predigen jetzt, dass man das doch bitte sein lassen soll.
@Anonym18:17h: Gaaaanz ruhig Brauner, genau darum geht es ja in diesem "Text".
Man muss als Agenturchef die Balance finden und eben nicht nur nach Awardliste einstellen.
Aber die Entscheidung ist schwerer als man denkt, weil Awards zum reinen Agenturmarketing verkommen sind.
Sieh den Beitrag als Appell an mich selbst, bevor du dann kotzt.
"Ganz klar, Awards sind ein hoch drehender Motor für eine Agentur wie unsere, weil sie Mitarbeiter motivieren. Besonders in der Kreation."
Sollte die Motivation eines wirklich guten Kreativen nicht eher im eigenen Anspruch liegen? Und in dem Ziel, das Problem des Kunden auf möglichst ungewöhnliche und damit aufmerksamkeitsstarke und damit relevante Weise zu lösen?
Die Beastie Boys nehmen ihr Album ja auch nicht auf, um die MTV Music Awards zu gewinnen, sondern für die Leute, die ihre Musik hören und lieben.
Denn wenn man einfach für bestehende Kunden, die bestmögliche Arbeit macht und mit dem Kunden zusammen umsetzt, dann kommen irgendwann auch die Awards. Als Belohnung. Nicht als Motivation.
Es gibt genug Beispiele für Agenturen, die keine Goldideen produzieren und trotzdem Awards gewinnen. Und wenn man dahin kommt, muss man sich auch nicht den Kopf über irgendeine Balance zerbrechen. Denn die stimmt dann von allein.
Mal ganz ehrlich: Wie ist es eigentlich bei Leagas Delaney? Macht ihr Goldideen?
@seb: Ach, deine ehrenhaften Gedanken hab ich hier schon so oft formuliert, dass ich mir wie ein Kommentar-Wiederholungs-Automat vorkomme. Aber noch mal:
Der Markt bestimmt in jeder Branche die Musik.
Wenn der Mitarbeitermarkt so tickt, dass Agenturen bevorzugt werden, die eine kreativeren Ruf haben (erzeugt durch Rankings), dann musst du dich entscheiden, ob du diese Musik spielen willst.
Antwort: Ja, auch wir produzieren Goldideen.
Jedoch mehrheitlich auf echten Briefings. Was heisst, dass wir ab und zu Ideen auf eigene Rechnung umsetzen, die der Kunde skeptisch beäugt. In der Hoffnung, dass er sie über die Art der Umsetzung "kauft".
Doch sei ehrlich: Auch du selbst würdest zu keiner Agentur gehen, die keine Sau kennt.
Bekanntheit erlangt eine Agentur meistens durch Kreation. Speziell in Deutschland passiert das (momentan) über Presse-Rankings und Awards.
Jeder Kreative sehnt sich nach Anerkennung. Awards sind nun mal eine der begehrtesten Formen davon. Egal, wie sie entstanden sind.
Ich persönlich freue mich am meisten über Awards, die echten Briefings entsprungen sind.
Was in unserer Agentur bekannt sein dürfte.
Aber das ist eine Haltung, die auf dem deutschen Mitarbeitermarkt eine begrenzte Haltbarkeit hat.
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