Wie kompliziert die Diskussion um Fakes und um Relevanz ist, zeigt das folgende Praxisbeispiel aus meiner Juryarbeit im Jahr 2005.
Ich nahm an der Plakat-Jury des ADC teil.
Die Fake-Diskussion war zu dieser Zeit auf einem ihrer Siedepunkte und man kämpfte sich als Juror per Power Point durch um die 400 Plakat-Exponate.
Klick. Nächstes. Klick. Nächstes. Klick. Nächstes.
Dreiviertel der Plakate hatte man noch nie gesehen. Viele waren ganz offensichtliche Fakes, alles ambitionierte Ideen, aber irgendwie spürbar irrelevant und beliebig. Teilwiese fühlte man sich als Juror schon verarscht.
Ab einem gewissen Punkt im Jurierungsprozess war man dann schon froh, Plakate zu sehen, die man kannte. So ist damals die Dove-Kampagne mit den dicken Frauen in weißen Bikinis zu Bronze gekommen.
Der Auftritt war in gewisser Weise mutig, aber nicht unbedingt innovativ. Dennoch wurde das „bisschen Mut“ von Dove belohnt, weil die Kampagne im Kontext mit all den anderen Fake-Motiven einfach wahrhaftig erschien.
Hier hatte ein Werbungtreibender noch die Absicht, mit Kommunikation etwas für seine Marke zu tun – und nicht seiner Agentur einen Gefallen.
Mitten im Wahrnehmungstrott der vielen Motive, die man – Klick. Nächstes. Klick. Nächstes – über sich ergehen lassen musste, kamen plötzlich diese drei Motive:


Ausgezeichnete Plakate "Kostümverleih" aus dem Jahr 2005 für Kostümverleih.com von Springer & Jacoby, Hamburg.Ich musste spontan lachen. So erging es einigen anderen Jurykollegen auch.
In der späteren Diskussion kam dann natürlich die unvermeidbare Frage auf, ob wir diesen so offensichtlichen Fake belohnen sollten.
Fakt war, dass jeder schmunzeln musste, aus seiner Wahrnehmungslethargie gerissen wurde und sich für den Abender interessiert hat.
Das Plakat als solches hatte also seinen Job perfekt erledigt.
Doch es war unzweifelhaft, dass der kleine Münchner Kostümverleih nicht die große Hamburger Werbeagentur Springer & Jacoby damit beauftragt hatte, eine breit angelegte Plakatkampagne für ihn zu entwickeln.
Wie damit umgehen?
Auf der einen Seite waren wir damals der Auffassung, dass der ADC innovative Ideen unbedingt belohnen sollte, unabhängig davon, wie "wirklich" der Auftrag war.
Auf der anderen Seite fühlte man ein Unwohlsein, dass hier wieder der Club benutzt wird, um den Medaillenspiegel einer Agentur „aufzupimpen“.
Dieses Dilemma hat fast jede Jury in der heutigen Zeit, weshalb plötzlich die Frage der Relevanz wieder in den Vordergrund gerückt ist.
Relevanz kann man in zwei Richtungen interpretieren (siehe auch einige gute Kommentare zum letzten Beitrag).
Richtung 1 ist, wie relevant ist die Arbeit für potentielle Zielgruppen?
Richtung 2, wie relevant ist der Job wirklich für den Auftraggeber?
Der Kostümverleih hätte mit Sicherheit keine Plakatkampagne gestartet, wenn sie ihm die Agentur nicht geschenkt hätte.
Dennoch war ich damals ein Verfechter davon, dass der Fake so außergewöhnlich ist, um wenigstens mit Bronze belohnt zu werden.
Im übrigen waren auch die beiden Silber-Gewinner der Plakatjury für Mercedes und TUI mit Sicherheit keine echten Briefings von den Kunden. Aber natürlich wirkten diese Arbeiten aufgrund der Bekanntheit der Marke und ihren regen Kommunikationsaktivitäten viel wahrscheinlicher.
Hier sind diese beiden Arbeiten:

Plakat "Unter den Palmen" für TUI von Jung von Matt.
Plakat "Von A nach B" für Mercedes von Springer & Jacoby.Das Problem, dem sich viele Wettbewerbe mittlerweile gegenüber stehen, ist die Menge an Kostümverleihen, Piercingstudios, Pizzaservices und sonstigen potentiellen Kleinwerbern, die im großen Stil Medaillen gewonnen haben.
Da merken auch viele Kunden, dass das ganze eben nur noch eine große Ideen-Show ist, die mit der kreativen Wirklichkeit wenig zu tun hat.
Die kreative Welt muss sich fragen, ob sie das noch will, denn der Werteverfall von Ideen ist mittlerweile riesig.
Ideen sind aber unser aller Kerngeschäft.
Sollte man hier keine einheiltiche Regelung finden, dann bin ich für:
Freier Fake für alle.
Damit allerdings geht jegliche Relevanz verloren. Und es gewinnen die, die am meisten Budget für die Fakeproduktion haben.
Es würde stinkenlangweilig werden.