Freitag, 5. Juli 2013

Bin ich in der Agentur kreativer?



In Zeiten der Work-Life-Balance (mancher hat ja sogar schon ein Upgrade auf Work-Life-Happiness vorgenommen) sieht sich ein Chef immer wieder mit Arbeitsmodellen konfrontiert, die ausserhalb der Agentur stattfinden können, um die Attraktivität seiner Agentur für Mitarbeiter zu erhöhen.

Er muss sich die Frage stellen, ob es für viele Mitarbeiter interessanter ist, zu Hause zu arbeiten. Und ob ein Kreativer dort vielleicht bessere Ideen hat als in der Agentur.

In der Juni-Ausgabe des amerikanischen Tech-Geek-Magazines „Wired“ ist dazu unter der Überschrift "How we work"  ein interessanter Beitrag von Clive Thompson zu finden.

Anlass war die Entscheidung der Yahoo-Chefin Marissa Mayer vor einigen Wochen, die Heimarbeit zu beenden und alle Mitarbeiter wieder in die Firma zu beordern: „Geschwindigkeit und Qualität werden häufig geopfert, wenn wir von zu Hause aus arbeiten. Wir müssen wieder ein Yahoo! sein, und das beginnt schon damit, dass wir physisch zusammen sind“.

Ein Aufschrei ging durch die digitale (Arbeits)-Welt. Sie erntete sehr viel Hohn und Spott. 

Ich persönlich spürte einen natürlichen Verteidigungsreflex, denn ich frage mich schon seit langer Zeit, wie wir das Ergebnis kreativer Heimarbeit messen und bewerten können? Oder gar mehr und bessere Leistungen dadurch erzielen?

Der Artikel hilft bei der Meinungsbildung mit wissenschaftlichen Untersuchungen, die zu diesem Thema durchgeführt wurden. Hier ein paar Erkenntnisse:

Innovative und kreative Gedanken und Ideen entstehen meistens in lockeren Gesprächen oder Diskussionen, in spontanen Begegnungen, wenn unterschiedliche Spezialisten oder Fachgebiete aufeinandertreffen. Und ja, auch meine eigene langjährige Erfahrung zeigt mir, dass ich zu Hause oder beim Joggen immer wieder einen genialen Einfall habe, aber erst im Austausch mit anderen, mit dem Team, wird eine tragfähige, durchsetzungsstarke und visuell ansprechende Idee daraus.

Monotone Tätigkeiten dagegen, wie das Programmieren von Codes, bei denen sich auch der Zeitaufwand und das Produktionsergebnis relativ genau bemessen lassen, können durchaus sehr gut zu Hause erledigt werden.

Viele Programmierer arbeiten gerne nachts, sagen wir beispielsweise von 22 bis 4 Uhr morgens. Da macht es durchaus Sinn, sich nur aus bzw. ins Bett zu wälzen oder gleich neben der Kiste zu Hause zu schlafen. Und sicher
 gibt es auch in Agenturen stupide „kreative“ Tätigkeiten (z.B. Rendern), die man eigentlich auch von zu Hause aus machen kann.

Doch selbst Super-Programmierer aus dem Silicon Valley wollten irgendwann nicht mehr zu Hause arbeiten (lt. Wired-Beitrag), weil sich in der Firma und in einer Gruppe von Gleichgesinnten viel schneller kleine und große Probleme gegenseitig lösen und lästige Fragen in einem Satz beantworten lassen.

Nun könnte man natürlich darüber nachdenken, einen Weg zu finden, mit dem gewisse Arbeiten zu Hause und gewisse Arbeiten in der Agentur erledigt werden.

Doch dazu braucht man dann wieder Mitarbeiter, die genau das koordinieren. Ein Aufwand, den viele Agenturen ja schon in der Agentur kaum bewältigt bekommen (Stichwort Effizienz). Und der auch vom Kunden nicht bezahlt wird. Deshalb müsste das Modell schon so attraktiv sein, dass sich bessere Mitarbeiter für weniger Geld für die Agentur entscheiden, die das anbietet.

Gibt es solche Leute? 

Ich denke auch, dass wir gerade im kreativen Bereich den Wettbewerb brauchen, den es in einer Agentur gibt – und zu Hause nicht. Gute Ideen und Gedanken von anderen Teams haben mich immer schon angestachelt oder motiviert, noch mal nachzulegen.

Der Druck, etwas liefern zu müssen, ist in der Agentur gleichwohl höher. Ich war und bin unter Druck kreativer als ohne.

Wie man es dreht und wendet, eines steht fest: in Agenturen gibt es immer einen, mit dem man mal reden und rum spinnen kann. Und sei es nur beim Rauchen vor der Tür.

4 Kommentare:

Tim hat gesagt…

Hmm, ich glaube die Frage ist schon irgendwie krude. Ideen kann ich überall haben. Oder auch nirgends. Mit der Abschaffung des Home Office bei Yahoo doktert Marissa Mayer auch nur am Symptom herum. Wenn ein Großteil der Mitarbeiter lieber zu Hause arbeitet, als in der Firma mit Kollegen, dann stimmt etwas grundlegendes mit der ganzen Unternehmenskultur nicht mehr. Und ich glaube genau das ist eigentlich auch der Punkt. Um kreativ zu sein und gute Ideen zu haben, braucht es die richtige Umgebung, die richtige (Arbeits-)Atmosphäre, die richtige Unternehmenskultur. Und das ist keine Aufgabe die man ans Projektmanagement delegieren kann. Genau das ist eine (!) zentrale Aufgabe der Unternehmensführung und den verantwortlichen Managern. Und es ist wahrscheinlich mit Abstand die schwerste Aufgabe überhaupt. Die wenigsten Unternehmen, auch in der Werbebranche, kriegen das wirklich hin. Und weil es so schwer ist, wird oftmals nur an Prozessen (Home Office) herumgebastelt oder irgendwelche Belohnungssysteme implementiert. (Die meistens nach 12 Monaten wieder abgeschafft werden, weil man dann merkt, dass die Mitarbeiter einen Weg gefunden haben das System zu "hacken" :)) Wobei ich dir im Kern Recht gebe: Für gute Ideen braucht es die Dusche, die Autofahrt, den einsamen Spaziergang genau wie die anschliessende Diskussion mit verschiedensten Leuten. Aber wenn die Mitarbeiter, wie bei Yahoo, anscheinend gar nicht mehr so richtig gerne in die Firma kommen, dann ist wirklich was faul im Staate Dänemark.

Anonym hat gesagt…

sehr interessantes thema. sehr gut ausgesucht.

ich will natürlich auch viel lieber bei so einem wetter zu hause ausdenken, oder am besten... garnicht. die sonne genießen, freunde treffen, in parks abhängen, etc.

aber bin ich da wirklich kreativer wenn ich zu hause oder in cafes so viel abwechslung habe? ich glaube nicht. es wird eher zur ablenkung.

wie du schon richtig angemerkt hast. in der agentur ist immer jemand mit dem ich mich über ein bestimmtes briefing austauschen kann. mit meinen freunden kann ich höchstens noch ne weitere runde bier bestellen.

zumal es bei uns so gemacht wird, das wenn man ausdenkt, man auch ruhig raus gehen kann. in ein cafe, in den park, an die alster... alles kein problem. aber das ich danach wieder in die agentur muss hat dann doch was gutes. es zeigt das man selber ernsthaft hinter seiner arbeit steht und zeigen muss das man eben nicht die ganze zeit gechillt hat.

ich hab auch beim sport oder auf klo ne spannende idee. aber konzentriertes, zielgerechtes arbeiten sieht dann schon anders aus.

und dazu kommt, wenn ein teil der belegschaft auswärts arbeiten kann weil sie nur nen stift und block brauchen (texter) oder ein handy (berater) dann würde ich es als sehr ungerecht empfinden, das ich als arter oder renderingexperte das eben nicht kann. das würde meiner meinung nach nicht unbedingt für gutes klima sorgen.

bin gespannt wie ihr das bei euch macht.

LG

Anonym hat gesagt…

Ich bin Freelancer und kann zu Hause viel besser ausdenken als ich es in 10 Jahren Agenturen konnte. Denn: Ich werde nicht von vorbeilaufenden Kollegen, Klatsch&Tratsch, Meetings, Mittagspausen, Beratern, Chefs etc. abgelenkt.

Als Freelancer in Agenturen fällt die Konzentration noch schwieriger, weil da meist nur Leute rumwuseln, die man nicht kennt = spannend, muss man ja hingucken und so.

Die Eigenmotivation zu Hause kommt von ganz alleine, sobald man davon leben will und muss.

Nur: Ausdenken in Parks/Kneipen etc. is mit nem Arter-Kollegen erheblich einfacher als alleine - eben weil man sich zu zweit mehr auf sich und das Projekt konzentriert und weniger auf seine Umwelt.

Thomas Moore hat gesagt…

Ideen brauchen Input.
Dabei kommt es nicht nur auf die Menge an, sondern auch auf die Qualität, die kann man nicht messen, da jeder noch so unnötige Input eine geniale Idee zu Folge hat.

Ich bin generell dafür erstmal in der Agentur auf Ideensuche zu gehen, mit Kollegen zu reden, rumlaufen, sich Inspirationen holen. Wenn man merkt, dass man nicht weiter kommt, dann sollte man etwas anderes machen, nach anderem Input suchen. Viel zu wenig Unternehmen geben die Möglichkeit Sport zu machen. Oft hat man nicht die Möglichkeit das Gebäude zu verlassen, Bahn zu fahren, oder sich mit Fremden zu unterhalten.

Unternehmen sollten ihren Angestellten zunächst Freiheiten geben, wenn es Resultate gibt, kann es so weitergehen.