Donnerstag, 8. März 2012

Das rote Telefon.

Man sieht sie förmlich vor sich. Die Protagonisten eines Filmes, der im Kalten Krieg spielt, in der Eiszeit zwischen den Supermächten Russland und USA, zwischen 1960 und 1980.

Man sieht den grobschlächtigen russischen Armeegeneral (Typ Gottfried John). Und den amerikanischen Cowboy (Typ Ronald Reagan).

Mehrere Telefone stehen auf ihrem riesigen Schreibtisch. Nur eines davon ist rot.

Der Zuschauer weiß, wenn einer der Präsidenten zu diesem Telefon greift, und den Befehl zum Abschuss gibt, dann setzt er einen unwiederkehrbaren Prozess in Gang.

Der Befehl durchs rote Telefon wird das Schicksal zahlreicher Menschen nachhaltig verändern. In einigen Ländern wird nichts ist mehr so, wie es vorher mal war. Bei den jeweiligen Armeen sowieso.

So ungefähr dürfen sich Blue Chip Kunden (die Supermächte) die Wirkung ihres Anrufes bei Agenturen (den Armeen) vorstellen, wenn Sie die Einladung zu einem Pitch aussprechen.

Ein Heer von Leuten wird in den Agenturen rekrutiert. Freelancer werden hinzugerufen. Mit durchaus fatalen Konsequenzen:

Eltern erkennen ihren Sohn oder ihre Tochter nicht mehr, weil sie plötzlich Augenringe haben (ist bei mir etwas anders, ich hab sie immer). Lebensbeziehungen werden auf Eis gelegt oder scheitern gar daran, Freizeitbeschäftigungen treten zurück, Urlaube werden abgesagt. 

Kurz: Wochenenden und Feierabende werden zu Arbeitszeit.

All das mündet schließlich in einer Explosion, die Präsentation heisst. Beziehungsweise in zwei oder drei Explosionen, wenn vorher noch Schulterblick und/oder erste Ausschluss-Runde geplant sind.

Vom finanziellen Aufwand, den eine Agentur tätigt, um an das große Geschäft zu kommen, mal ganz abgesehen (wer es noch nicht weiß, j
e nach Marke und Etatvolumen kommt da gerne mal ein 6-stelliger Betrag zusammen).

Liebe Kunden, ist euch das eigentlich noch bewusst?

Ich habe häufig das mulmige Gefühl — weil mit der Energiequelle Kreation derart verschwenderisch umgegangen wird – dass die neue Generation Brand- oder Marketingmanager keine Kenntnis davon hat.

Natürlich, unter dem Strich kann es einem Kunden egal sein, wie eine Agentur ihr Geschäft erledigt. Auch das eines Pitches.

Wenn die Rahmenbedingungen fair sind (z.B. es steht nicht schon vorher fest, wer den Etat eigentlich bekommen soll. Oder der Oberentscheider weiß gar nix von einem Pitch und ist an einer Veränderung der Kommunikation gar nicht interessiert. Oder der Pitch dient einzig dazu, die bestehende Agentur unter Druck zu setzen, damit sie in ihren Preisen noch mal runter geht), dann ist das eine Situation, mit der Agenturen und ihre leidenschaftlichen Leute umgehen können.

Schön auch, wenn nach dem Pitch die Entscheidung nicht 6 Monate dauert, sondern maximal 4 Wochen.

Aber: 

Wenn jemand seinen Urlaub wegen eines Pitches absagt, oder das lang geplante Candle-Light-Dinner mit seinem Lebenspartner permanent aufschiebt bis er keinen mehr hat, dann sind Pitchenstcheidungen wie „Der Kunde hat sich überlegt, dass er eigentlich nix verändern möchte“ oder „die arbeiten jetzt mit der Agentur XY, weil sich der Agenturchef und der CEO vom Segeln kennen“ wirklich vernichtend.

Auch das könnte einem Kunden herzlich egal sein, wenn da nicht der Domino-Effekt wäre:

Irgendwann haben die Heerscharen von mehrfach missbrauchten Kreativen keine Lust mehr.

Diesbezügliche Tendenzen sind schon deutlich zu erkennen.

Was wiederum zur Folge hätte, dass es nur noch Ideen nach Vorschrift gäbe.

Also keine bahnbrechenden Ideen.

Das kann nicht im Interesse aller Beteiligten sein.
























Es sei angemerkt, dass das rote Telefon in seiner eigentlichen Form (oben das erste seiner Art von Jimmy Carter) nicht der Zerstörung, sondern dem friedlichen Prozess dienen sollte. Es war als Konsequenz aus der Kubakrise der direkte Draht zwischen US-Präsidenten und russischem Ministerpräsidenten.

Es wurde aber in den ersten Jahren so gut wie nie benutzt.

Ehrliche Absichten brauchen eben länger. Dafür bringen Sie mehr.

2 Kommentare:

Magaziniker hat gesagt…

Wie so häufig sind auch beim roten Telefon zwei im Spiel: einen der anruft, und einer der abnimmt (und dann das beschriebene Kasperltheater mitmacht).

Anonym hat gesagt…

"Am Wochenende Pitch, machst du mit?"