Es gibt Bilder, da laufe ich mit einem Hygienehut und einem weissen Schutzmantel durch eine Fertigungshalle für Bonbons. Andere zeigen, wie ich neben einer riesigen Produktionsstrasse für die Fertigung von Tiefkühlpizzen stehe. Oder in einem nagelneuen – und damals noch geheimen Automobil – auf einer firmeneigenen Teststrecke sitze. Unvergessen bleibt mir auch die Weihnachtsmänner-Produktion in einer Schokoladenfabrik an einem heissen Juli-Tag. Oder der Besuch einer Montagehalle für Fernsehapparate.
Und natürlich bleiben mir die vielen Gespräche mit Vertriebsleitern, Ingenieuren, Designern, Produktentwicklern, Produktionsleitern, Verkäufern und Fließbandarbeitern in Erinnerung.
Die oben skizzierten Bilder waren meistens nicht sehr imageträchtig für mich. Sicherheitsschuhe und Haarnetze sind nicht besonders vorteilhaft für die Figur.
Aber der Entstehung der Bilder lag eine absolut sinnvolle Tätigkeit einer Agentur zu Grunde. Wissen und Eindrücke über ein Produkt oder eine Marke vor Ort zu sammeln.
Und zwar Wissen, dass sich nicht nur aus dem Fundus der Marketingleute generiert, sondern auch aus dem der Menschen, die Produkte oder Marken entwickeln, herstellen, betreuen, reparieren, verwalten oder verkaufen.
In Gesprächen mit diesen Menschen liegen häufig die besten Strategien oder Ideen versteckt.
Kreative sind deshalb Kreative, weil sie vielleicht etwas anders denken als andere Menschen. Und deshalb auch mit Äußerungen oder Bemerkungen von Nicht-Marketingfachleuten etwas anderes assoziieren. Im Idealfall einen Strategie- oder Kampagnenansatz.
Die besagten Bilder von oben sind ziemlich in die Jahre gekommen. Und es gibt wenig neue.
Der Grund dafür ist: keine Zeit.
Eine derartige Wissensbetankung ist richtig Aufwand für die Agentur. Und natürlich auch für den Kunden.
Zum Beispiel die entsprechenden Leute in der Firma motivieren und die Termine organisieren. Wenn die Gespräche im Rahmen einens Pitches stattfinden sollen, dann das Ganze gleich 3 bis 6 mal (je nachdem, wie viele Agenturen eingeladen sind).
Bei dem heutigen Investoren- und Kosten-Druck, dem reduzierten Personalkapazitäten und der rasanten Verkürzung von Produktions- und Abstimmungsprozessen ist so ein Wissensgenerierungs-Luxus kaum noch drin.
Dazu kommt, dass der Personalwechsel im Marketing in immer kürzeren Perioden erfolgt. Somit auch die Agenturfrage bzw. die Pitchrhythmen.
Welcher Designer von Automobilen oder Produktionsleiter von Schokoriegeln hat schon Lust, sich alle paar Wochen mit verschiedensten Agenturfuzzies zu unterhalten?
Da hilft selbst ein Pitchberater nicht, denn er kann zwar den Agenturauswahlprozess und das Briefing sowie den Pitch selbst betreuen. Aber in der Firma herumführen und die richtigen Leute organisieren, dass kann auch er nicht.
Diese Entwicklung hat fatalistische Züge bekommen, denn manchmal erscheint es dem ein oder anderen Marketingschaffenden wichtiger, in zwei Wochen eine neue Kampagne aus dem Boden zu stampfen (die dann mit zig Millionen unters Volk gebracht werden soll), als für etwas mehr Zeit und Budget zu kämpfen, um den Kampagnenerfolg mit der nötigen Sorgfalt vorzubereiten.
Erst letztes Jahr habe ich einen Pitch erlebt, in dem der Kunde sich sogar vehement dagegen gewehrt hat, dass man sich mal mit ein paar Fachleuten in seiner Firma unterhält, um sich in einem komplexen Thema mehr Know How zu erarbeiten. Stattdessen bekamen wir einen dicken Aktenordner mit Informationen auf den Tisch geknallt. Und einen Präsentationstermin. Friß oder stirb.
Ich habe bis jetzt keine Kampagne für die Marke gesehen.
Eine Kampagne in zwei oder drei Wochen für eine Marke zu entwickeln, die man überhaupt noch nicht kennt, ist eigentlich nicht möglich. Wenn es eine Agentur seriös angehen will.
Wird aber trotzdem immer häufiger gemacht.
Man kann natürlich auf einen Glückstreffer hoffen. Was aber nur eine hilflose Verlegenheitslösung ist.
Der beste Weg ist immer noch, den kreativen Erfolg mit allen nur erdenklichen Informationsquellen so wahrscheinlich wie möglich zu machen.
Schließlich ist dieser Aufwand immer noch günstiger für eine Marke, als ein Jahr kommunikative Erfolglosigkeit. Und als einige Werbemillionen später gleich wieder die nächste Kampagne in Auftrag zu geben.
5 Kommentare:
Das erinnert mich spontan an das schöne Beispiel vom "teuersten Bild der Welt" (war es von David Ogilvy?). Sehr guter , sehr zeitgemäßer Beitrag, Stefan!
Sehr treffender Beitrag!
Die besten Ideen - die auch verkaufen - kommen immer noch direkt aus dem Produkt. Ein guter Gedanke und ein echter Produkt-Benefit: das sind die Zutaten, mit denen Kreative die besten Konsumenten-Bonbons zubereiten.
Aber eine Frage bleibt: Was tut man als Agenturchef konkret gegen kritisierten Mißstand?
@anon16:05h: Penetrant bleiben.
unterschrieben
ich kenne das auch. zwar im kleineren rahmen weil ich nur in einer kleinen agentur arbeite aber bei uns ist das genau so. da sind die kreativen nichtmal beim (neu-)kundenmeeting dabei. wir bekommen dann später n abgehacktes briefing mit allerlei bereits im vorfeld entschiedenen und gewerteten informationen.
ich finde das äußerst schade, denn somit werden agenturen (bzw. so ist es bei meiner) immer nur noch zu handlangern, zu verlängerten armen der firmenbosse.
andersrum läuft es aber bei uns auch so. ich habe noch nie eine eigene idee von mir vorm kunden vorgestellt. macht immer der chef. was ich mir dabei gedacht habe hat er noch nie gefragt. hm..
vielleicht arbeite ich aber auch nur in der falschen agentur, ich weiß es nicht.
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