Mittwoch, 8. April 2009

Ein überzeugender Fall von Fake.

Wie kompliziert die Diskussion um Fakes und um Relevanz ist, zeigt das folgende Praxisbeispiel aus meiner Juryarbeit im Jahr 2005.

Ich nahm an der Plakat-Jury des ADC teil.

Die Fake-Diskussion war zu dieser Zeit auf einem ihrer Siedepunkte und man kämpfte sich als Juror per Power Point durch um die 400 Plakat-Exponate.

Klick. Nächstes. Klick. Nächstes. Klick. Nächstes.

Dreiviertel der Plakate hatte man noch nie gesehen. Viele waren ganz offensichtliche Fakes, alles ambitionierte Ideen, aber irgendwie spürbar irrelevant und beliebig. Teilwiese fühlte man sich als Juror schon verarscht.

Ab einem gewissen Punkt im Jurierungsprozess war man dann schon froh, Plakate zu sehen, die man kannte. So ist damals die Dove-Kampagne mit den dicken Frauen in weißen Bikinis zu Bronze gekommen.

Der Auftritt war in gewisser Weise mutig, aber nicht unbedingt innovativ. Dennoch wurde das „bisschen Mut“ von Dove belohnt, weil die Kampagne im Kontext mit all den anderen Fake-Motiven einfach wahrhaftig erschien.

Hier hatte ein Werbungtreibender noch die Absicht, mit Kommunikation etwas für seine Marke zu tun – und nicht seiner Agentur einen Gefallen.

Mitten im Wahrnehmungstrott der vielen Motive, die man – Klick. Nächstes. Klick. Nächstes – über sich ergehen lassen musste, kamen plötzlich diese drei Motive:








Ausgezeichnete Plakate "Kostümverleih" aus dem Jahr 2005 für Kostümverleih.com von Springer & Jacoby, Hamburg.


Ich musste spontan lachen. So erging es einigen anderen Jurykollegen auch.

In der späteren Diskussion kam dann natürlich die unvermeidbare Frage auf, ob wir diesen so offensichtlichen Fake belohnen sollten.

Fakt war, dass jeder schmunzeln musste, aus seiner Wahrnehmungslethargie gerissen wurde und sich für den Abender interessiert hat.

Das Plakat als solches hatte also seinen Job perfekt erledigt.

Doch es war unzweifelhaft, dass der kleine Münchner Kostümverleih nicht die große Hamburger Werbeagentur Springer & Jacoby damit beauftragt hatte, eine breit angelegte Plakatkampagne für ihn zu entwickeln.

Wie damit umgehen?

Auf der einen Seite waren wir damals der Auffassung, dass der ADC innovative Ideen unbedingt belohnen sollte, unabhängig davon, wie "wirklich" der Auftrag war.

Auf der anderen Seite fühlte man ein Unwohlsein, dass hier wieder der Club benutzt wird, um den Medaillenspiegel einer Agentur „aufzupimpen“.

Dieses Dilemma hat fast jede Jury in der heutigen Zeit, weshalb plötzlich die Frage der Relevanz wieder in den Vordergrund gerückt ist.

Relevanz kann man in zwei Richtungen interpretieren (siehe auch einige gute Kommentare zum letzten Beitrag).

Richtung 1 ist, wie relevant ist die Arbeit für potentielle Zielgruppen?

Richtung 2, wie relevant ist der Job wirklich für den Auftraggeber?

Der Kostümverleih hätte mit Sicherheit keine Plakatkampagne gestartet, wenn sie ihm die Agentur nicht geschenkt hätte.

Dennoch war ich damals ein Verfechter davon, dass der Fake so außergewöhnlich ist, um wenigstens mit Bronze belohnt zu werden.

Im übrigen waren auch die beiden Silber-Gewinner der Plakatjury für Mercedes und TUI mit Sicherheit keine echten Briefings von den Kunden. Aber natürlich wirkten diese Arbeiten aufgrund der Bekanntheit der Marke und ihren regen Kommunikationsaktivitäten viel wahrscheinlicher.

Hier sind diese beiden Arbeiten:





Plakat "Unter den Palmen" für TUI von Jung von Matt.





Plakat "Von A nach B" für Mercedes von Springer & Jacoby.


Das Problem, dem sich viele Wettbewerbe mittlerweile gegenüber stehen, ist die Menge an Kostümverleihen, Piercingstudios, Pizzaservices und sonstigen potentiellen Kleinwerbern, die im großen Stil Medaillen gewonnen haben.

Da merken auch viele Kunden, dass das ganze eben nur noch eine große Ideen-Show ist, die mit der kreativen Wirklichkeit wenig zu tun hat.

Die kreative Welt muss sich fragen, ob sie das noch will, denn der Werteverfall von Ideen ist mittlerweile riesig.

Ideen sind aber unser aller Kerngeschäft.

Sollte man hier keine einheiltiche Regelung finden, dann bin ich für:

Freier Fake für alle.

Damit allerdings geht jegliche Relevanz verloren. Und es gewinnen die, die am meisten Budget für die Fakeproduktion haben.

Es würde stinkenlangweilig werden.

9 Kommentare:

Fabian hat gesagt…

Du bist ja auch in der D&AD Jury oder?
Wie gehen die dort denn mit dem Thema um?

Anonym hat gesagt…

Vielleicht gibt es so viele Fakes, weil die Agenturen eigentlich ganz anders mit den Kunden arbeiten wollen, als sie dürfen?

In der Filmwelt ist der Kurzfilm das experimentelle Spielfeld. Im Langfilm gibt es keine Fakes. Man sollte für die Fakes ein spezielles Werbe-Genre erfinden, sich dort austoben und den Rest (die echten Kundenprojekte) strikt professionell handhaben. Ansonsten kann man auch eine Kunsthochschule gründen und dort seine Fakes produzieren ,-).

Fabian hat gesagt…

Wer sich in der Werbung austoben will, soll nach Hause gehen und nen Bild malen.

Anonym hat gesagt…

Das Problem mit der eigenen Kategorie für Fakes dürfte die Trennlinie sein:

Ab wann ist ein Fake ein Fake? Welcher Kunde ist groß genug, eine echte Kampagne zu schalten? Ist hier die Zahl der Mitarbeiter oder der Jahresumsatz entscheidend? Muss ein offensichtlicher Fake dann überhaupt noch publiziert werden? Und wozu?

Unknown hat gesagt…

Die Trennlinie könnte z.B. sein, dass sich die Agentur klar dazu bekennt, dass das Projekt ein Fake, oder Demo oder eitle Leistungsschau ist. Z.B. durch Einblendung und Kenntlichmachung - wie auch immer dezent. Den nachträglichen Beweis erbringen, das etwas gefaked ist, fällt doch nicht so schwer. Vorteil wäre vielleicht auch, dass das Interesse an der Erstellung von Fakes sich so relativ natürlich von alleine begrenzt. Zuviele Fakes = l'art pour l'art = begrenzt relevant oder eben spezielle Kategorie ;-)

ramses101 hat gesagt…

Freier Fake für alle ist trotzdem noch fairer als "freier Fake für die, die sich das leisten können."

Und darauf würde es doch hinauslaufen, den wie im letzten Beitrag treffend beschrieben: Relevanz taugt nichts als luftleeres Kriterium, man muss sie schon definieren.

Und Relevanz könnte dann durchaus heißen: Nimmt die gezeigte Leistung einen "relevanten" Teil im Mediamix ein? Sowas ist messbar und damit schaltbar. Muss halt die Kriegskasse drauf eingenordet werden.

Anonym hat gesagt…

Wie langweilig wäre die Werbung ohne Fakes.
Zumindest hier in Deutschland!
Dann würden wir ja nur noch mittelmäßige Spots, Anzeigen oder Funkis für echte Kunden zu Gesicht bekommen.
Gähn.
Ich denke aus manchen spricht nur der Neid, weil sie einfach keine guten Ideen für ihre Kunden hinkriegen und sich deshalb über teilweise supergeile Fake-Ideen aufregen - die schnappen einem schließlich den Preis vor der Nase weg.
Und wie leer die ADC-Ausstellung wohl wäre, wenn es nur noch "echte" Arbeiten dort hinverschlägt....

Zschaler hat gesagt…

Die Herausforderung für mich als Kreativen besteht nicht nur darin, eine starke Idee zu entwickeln, sondern ein echtes Problem oder eine Aufgabe zu lösen und mit Kommunikation etwas für eine Marke zu bewirken. Bei möglichst vielen Menschen.

Mein Job ist nicht nur, eine starke Ideen zu entwickeln, sondern auch den Kunden davon überzeugen, dass sie ihm bei seinem Anliegen hilft.

Wenn wir nur noch in einer Welt der Fakes leben, die einmal irgendwo erscheinen, dann hätte Werbung ihren Reiz für mich komplett verloren.

Im übrigen gibt es eine reine Fake-Welt schon. Die nennt sich Kunst.

Fakes nehmen anderen (realen) Arbeiten nicht die Preise weg, sie sorgen nur langsam dafür, dass langsam keiner die Wettbewerbe mehr ernst nimmt.

Und guck dir nur mal die ganzen online Archive (adsoftheworld.com, Coloribus.com) an, da sind lauter Fakes drin.

Ehrlich gesagt, vor der schieren Masse hat man gar keine Lust mehr, sich die alle anzusehen.

Zschaler hat gesagt…

@Fabian: Ich war leider noch nicht in einer D+AD-Jury, aber mein Freund Pius (walker.ag).

Er hat mir berichtet, dass das Niveau der Diskussion und der Anspruch ein ganz anderer sei als beim ADC.

Das fängt bei der Jurybesetzung an. Da werden echte und aktuelle Kreativ-Kaliber in die die Jury berufen (und nicht gegenseitig gewählt). Die haben also auch einen Ruf zu verlieren und zeichnen nicht nur etwas aus, damit der Kumpel eine Medaille bekommt, sondern die pflegen sehr sorgsam die Höhe der kreativen Meßlatte.

Ausserdem sind die meisten Sachen erschienen (in England gilt Fairplay auch noch in der Werbung)

Natürlich bis auf die Arbeiten aus Deutschland und einigen anderen Fakeweltmeister-Ländern in der internationalen Kategorie.