Nachdem ich gestern über Plakate geschrieben habe, fiel mein Blick auf das neue D+AD Buch. Der D+AD (Directors- and Art Directors Club) ist quasi der englische ADC.
Das Ding liegt seit einer Woche auf meinem Schreibtisch, doch ich habe bisher nicht reingucken können.
Das habe ich gestern sogleich nachgeholt und mir aus aktuellem Anlass die jeweiligen Plakatgewinner angesehen. Was in der ersten Feststellung endete, dass es in England keine Gewinner gab, sondern nur Nominierungen (Nominations).
Nominierung kommt der deutschen Auszeichnung gleich. Die Arbeit steht im Buch, bekommt aber keinen Nagel oder Pencil.
Hier die Medaillengewinner des diesjährigen ADC-Wettbewerbs in der Kategorie „Plakate und Poster (Outdoor und Indoor)“:
Plakat für McDonalds. Bronze Nagel.
Plakat für Malteser. Bronze Nagel.
Plakat für den Berliner Zoo. Bronze Nagel.
Plakat für Braun. Bronze Nagel.
Plakat für die deutsche Post. Silber Nagel.
Mit geschultem Blick auf diese Nägel möchte ich behaupten, dass nur eines der Motive ein Auftrag gewesen ist. Entweder hat die Agentur einer „öffentlichen oder sozialen“ Einrichtung einen Gefallen getan (dem Zoo und dem Malteser Hilfsdienst) oder dem Kunden ein paar Goldmotive geschenkt (Post und Braun).
Völlig losgelöst von bestehender Kommunkation oder Positionierung.
Einzig bei McDonalds bin ich mir nicht sicher, ob es eine reale Arbeit war. Sehen wir es aber positiv, eine von fünf Medaillen ist ein „echtes Stück Werbung“. Dann also Glückwunsch an die Kreativen.
Dieses Mißverhältnis echt/unecht ist für die deutsche Kreativ-Elite dennoch ein bitteres Zeichen.
Bei den Auszeichnungen, die es in der Kategorie noch gab, ist das Verhältnis übrigens nicht besser.
Nun muss man wissen, dass "Plakat" eine Königsdisziplin für Gold-Projekte darstellt. Ein einziges Plakat ist günstig in der Schaltung. Zudem macht es immer wieder Spaß, Plakate zu entwickeln, weil jeder akzeptiert, dass hier reduziert gedacht und gestaltet werden muss.
Das zieht die Scam-Experten an.
Was allerdings bezeichnend ist: die Nagel-Plakate für Marken wie Braun und Post verzichten fast ganz auf Texte und bewerben einfach eine ganze Produktkategorie. Den Brief, den Nasenhaarschneider und den Kaffeeshop.
Ganz nett – aber völlig generisch. Eigentlich die totale kreative Oberflächlichkeit.
Würden die Unternehmen die Agentur richtig briefen, wäre da sicher mehr Relevanz verlangt worden.
Schnitt.
Vergleichen wir die deutschen Plakathelden 2007 mal mit drei Nominierungen des D+AD, dann tun sich Welten auf.
Hier die Beispiele:
Gebäudemalerei für Havaianas Flip-Flops. Nomination.
Plakat für Harvey Nichols. Nomination.
Plakat für Financial Times. Nomination.
Der große Unterschied ist nicht nur, dass die englischen Arbeiten wirklich gebrieft wurden, für eine breite Öffentlichkeit sichtbar waren und die Agenturen dafür auch bezahlt wurden.
Bedrückend ist die Feststellung, dass hier eindeutige Botschaften transportiert werden, die auf die Marke und ihre Positionierung einzahlen und Teil eines ganzheitlichen Kommunikationsauftrittes sind.
Also irgendwie Sinn machen.
Vergleicht man am Ende auch noch den Gesamtinhalt des englischen Buches mit dem des deutschen Kompendiums, dann wirkt das eine wie ein Wirtschaftskrimi und das andere wie eine Soap-Serie.
Das hat mich heute wirklich sehr nachdenklich gemacht und heftig an meiner Kreativehre gekratzt.
Tipp 47: Orientiere dich am ADC und träume vom D+AD.
2 Kommentare:
Du hast in einem Punkt recht: die Engländer hassen Scam. Aber wenn man auch mal da gearbeitet hat - oder frag einfach mal Tim Delaney - dann weiss man, dass nicht jede Harvey Nichols Kampagne gebrieft wurde (wieviel Etatvolumen haben die überhaupt, dass die sich 5 Kampagnen jährlich von DDB leisten können?) und auch beim D&AD gilt: erlaubt ist, was gefällt. Die schalten ihr Zeug und wollen das OK vom Kunden, aber das meiste passiert dennoch abseits von Markenstragie und grossen Budgets. Also Idee sucht Kunde, den man im Haus hat. Und spätestens wenn du auf "International Works" blätterst, siehst du wieder altbekannte Scamarbeiten aus aller Herren Länder.
Meine Meinung: der ADC zeichnet mehr reale Arbeiten aus, als der D&AD. Nur sind die meistens schlecht und sich von den üblichen Verdächtigen gegenseitig in die Tasche geschoben.
Wenn ich mit Tim Delaney über das Goldideen-Treiben hier in Deutschland spreche, dann hält er das immer für einen schlechten Witz und kneift die Augen ganz komisch zusammen.
Ich bin überzeugt, dass das Fake-Verhältnis beim ADC das des D+AD bei weitem übertrifft.
Fairplay gilt in England einfach noch was. Ich denke, dass sicher der ein oder andere englische Kreative auch auf seinen Kunden Sonderideen realisiert, aber gerade das von dir angesprochene Beispiel Harvey Nichols zeigt zumindest, dass die Kampagnen "zusammen passen" und wie eine professionelle ganzheitliche Markenkommunikation aussehen, wohin gegen bei uns (Bsp. DHL oder Post) Gold und Alltag nicht so recht zusammenpasst.
Wer sich beim D+AD nicht ans Fairplay hält, sind die Ausländer in den "International-Sections" – da findet man die Wettbewerbs-Werke zuhauf, z.B. Matchbox.
Tja, gegen das Scam-Virus ist keiner resistent.
Da hilft nur, die befallenen Organe abzuschneiden – oder bis ans bittere Ende damit zu leben.
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