Glaubt man den Medien, so steht uns ein Niedergang der Wirtschaft ins Haus.
Und glaubt man dem Spiegel, so wird der Niedergang noch fulminanter, denn nach der Immobilien-Blase platzt noch eine weitere Blase. Die der Kredit-Versicherungen der Immobilien-Blase.
Ich hatte die Zusammenhänge zwischen faulen amerikanischen Immobilien-Darlehen und deutschen Banken-Beinahe-Pleiten bisher nicht in vollem Umfang durchgeholt.
Doch der Spiegel bringt in seiner neuesten Ausgabe (Nr. 47 vom 17.11.) ziemlich viel Licht ins Dunkel.
Eine wirklich außergewöhnliche Reportage.
Für Texter ein echtes Muss.
Zum einen, um dieses mediale „Subprime“-Schlagwort (subprime = minderwertig) endlich zu verstehen.
Und zum anderen, weil sie hervorragend geschrieben und mindestens genauso hervorragend recherchiert ist.
Aber seid gewarnt, der Artikel zieht sich über 23 Seiten. Und ihr kennt ja das Kleingedruckte des Spiegel.
Neben dem Leitartikel selbst ist übrigens auch die Covergestaltung goldverdächtig.
Ich habe die Titelgeschichte unter der Überschrift „Der Bankraub“ gerade zu Ende gelesen und musste plötzlich wirklich schmunzeln.
Zu oft begegnete mir im Zusammenhang mit wahnsinnigen Finanzprodukten das Wort "Idee".
Was da in Amerika passiert ist, hat durchaus ein paar Parallelen zu dem, was bei uns in der Branche passiert (über Fakes habe ich hier im Blog ja schon ein paar Gedanken liegen lassen).
Ich will mal versuchen, meine merkwürdigen Assoziationen kurz zu umreißen.
Im Kern geht es um das klassische Geschäft der Banken. Nämlich Geld von anderen Banken (oder Investoren) zu beschaffen, Geld an irgendwelche Kunden, Unternehmen oder Investoren zu verleihen und dann mit Gewinn von eben diesen zurück zu bekommen.
Das birgt natürlich ein gewisses Risiko, wenn der, dem man das Geld verliehen hat, es nicht zurück bezahlen kann.
In Amerika wurden Ende der 90er Jahre massenweise Kredite für Häuser an Leute vergeben, die sich diese Kredite nicht leisten konnten.
Da sich die faulen Kredite mehr und mehr anhäuften, fingen die Banken an, Kredit und Kreditrisiko zu separieren und die Risiken – als potentielle Werte – in Fonds zu verpacken, die sie wiederum an Investoren in aller Welt verkauft haben.
Und so ging es dann – schneeballsytem-artig – weiter.
Die Risiken verselbstständigten sich nicht nur in irgendwelchen verzweigten Fonds, sondern die Banken und ihre Investmentabteilungen wollten ihr immens gestiegenenes Ausfallrisiko minimieren und hatten immer neue "Ideen":
Die Namen dieser Ideen lauteten zum Beispiel Credit Default Swaps (Tauschgeschäfte), die dann weiterentwickelt wurden zu Collateralized Debt Obligations (verbriefte Kreditversicherungen).
Auszug aus einer PowerPoint, in der mit einigen Charts in diesem Stil sehr amüsant die Entstehung der Subprime Krise erklärt wird.
Hier erfindet ein kreativer Banker gerade seine Investment-Fakes.
Das heisst, für die faulen Tauschgeschäfte wurden jetzt Kreditversicherungen abgeschlossen. Diese Versicherungen kommen einer Wette gleich, nämlich ob die Masse der Schuldner, die da in so einem Fond versammelt ist, zahlen kann oder nicht.
Ok, klingt etwas kompliziert. Und ich weiß auch nicht, ob es 100% richtig beschrieben ist.
Was aber ganz klar in dem Artikel zum Ausdruck kommt: hier wurde über Jahre eine Finanz-Goldidee nach der anderen produziert (also Fakes). Das hat sich so hoch geschaukelt, das nach dem Niedergang des amerikanischen Immobilienmarktes die Fakeblase irgendwann geplatzt ist.
Was wirklich aufs Höchste amüsiert ist die Tatsache, dass auch die Investmentbranche ihre ADC-, Cannes- oder Clio-Jury hat. Also die Institutionen, die Goldideen bewerten. Nur heissen die in der Finanzwelt eben Rating-Agenturen (Moody’s oder Standard & Poor’s).
Und ihre Nägel oder Pencils heißen AAA oder BBB oder CCC-Rating.
Wenn man jetzt mal die Fake-Industrie in unserem Land betrachtet und sich überlegt, wo hier die Blase wächst, dann könnte man festellen, dass Agenturen, die ein AAA-Rating haben, nicht unbedingt AAA-Leistung liefern.
Weil sie ihr AAA nämlich mit künstlichen Ideen erwerben, in der Realität (Tagesgeschäft) aber faule Kreation abliefern.
Kunden gehen zu diesen Agenturen und investieren dort ihr Geld in dem Glauben, die verstehen etwas von Kreation und helfen ihren Produkten und Marken mittelfristig weiter.
Doch eigentlich sind sie nur bei Lehman Advertising gelandet und versenken ihr Geld statt bei einer ernsthaften Agentur ein beständiges Marken-Investment zu tätigen.
Aber auch für die Agenturen, quasi die Banken der Kreativität, hat dieses Investment in synthetische Ideen – in Ideen, die nicht gebrieft wurden und deshalb auch keinen realen Wirtschaftswert bringen – eine treibende Blasenwirkung.
Sie müssen immer mehr Geld für die Erstellung, Realisierung und Einsendung der Fakes investieren. Alle anderen tun es auch. Der Fake-Wettbewerb schaukelt sich langsam aber sicher hoch.
Doch für die reale Arbeit bekommen sie von ihren Kunden immer weniger Honorar – unter anderem auch wegen der Finanzkrise.
Wo soll der Fake-Wahnsinn enden wenn nicht in der kreativen Verschuldung?
Zwei Zitate im Spiegel-Artikel können einen darin bestärken, zumindest mit gesunder Skepsis und gebotener Vorsicht der Produktion von Fakes gegenüber zu stehen.
Das erste Zitat ist von Dov Seidman, einem Finanz-Philosoph, der sich seit Jahren für eine neue und bessere Wirtschaftsmoral stark macht:
Die wirkliche Währung unserer Zeit ist Beständigkeit.
Das zweite Zitat stammt von Warren Buffett, Finanzinvestor und zeitweise der zweitreichste Mann der Welt. Ein Mann, der diese ganzen Finanz-Fakes namens Credit Default Swaps (CDS) oder Collateralized Debt Obligations (CDO) gemieden hat mit den Worten:
Ich investiere nur in etwas, das ich verstehe.
Ich fasse also zusammen:
Tipp 55: Investiere nur in Ideen, die andere auch verstehen. Und die eine gewisse Beständigkeit haben.
Der Anti-Bankberater. Hier klärt er seine Kunden gerade über die Abkürzung HLC (Higher Lending Charge) auf.
Diese Kampagne für die Nationwide Building Societey (quasi die LBS von England) stammt von Leagas Delaney London.
4 Kommentare:
Ich habe lange Zeit gehofft, dass sich genau an dieser Stelle eine Diskussion entfacht.
Den Vergleich zwischen Bank und Agentur und ihren beiden wichtigsten Produkten gehe ich mit. Ideen sind Inhalte beider Philosophien. Allerdings halte ich den Grad zwischen existentieller Kapital-Sucht und den Versuch, mit möglichst hohen finanziellem Einsatz möglichst viele Bullshit-Ideen zu produzieren um möglichst viele Kunden von meiner kreativen Potenz überzeugen zu können als durchaus größer, steiler und perverser als in Ihrem Beitrag beschrieben. Während auf Agentur-Seite ein Krebsgeschwür wütet, ist die Bank ein genetisch bedingtes Karzinom. Hier sind es die Worte Brechts, die den oben beschriebenen Zustand beider Einrichtungen von Grund auf trennen: was ist die Gründung einer Bank gegen das Ausrauben einer Bank? Die Frage läuft auf Agentur-Seite ins Lächerliche und zeigt, dass die Goldideen auf beiden Seiten eigentlich nicht miteinander verglichen werden können.
Aber ja, Goldideen ließen die Banker den größten Ramsch verkaufen. Sie können aber niemals als deren Daseinsberechtigung bezeichnet werden. In diesem Sinne: Agenturen zu Sparkassen.
Ich finde die Goldideen der Banken weitaus schädlicher für das Glück der Menschheit als irgendwelche Fake-Werbeideen.
Das ist ja nur Werbung, da kann der Privatmensch wegsehen.
Aber wenn der Privatmensch in einen Fake investiert hat, dann ist er im schlimmsten Fall sein Erspartes los. Das ist aus meiner Sicht ein viel größerer Flurschaden.
Mir ging es in meimem Vergleich nur um die Blase, die beide Goldideen-Systeme erzeugt haben.
Lügen haben heutzutage Blasen, nicht kurze Beine.
Und mir ging es um die Tatsache, dass scheinbar "neutrale" Instanzen (hier die Rating Agenturen, da die Award-Jurys) die Qualität der Ideen bewertet – und alle Außenstehenden meinen, das sei jetzt das Nonplusultra.
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