Sonntag, 15. September 2013

Der inszenierte Herzinfarkt.

Das Spiel mit der versteckten Kamera nimmt zu. Der Grund liegt darin, dass es ein beliebtes Format scheint, um Views auf YouTube zu erzeugen. 

Ich habe bereits darüber geschrieben.

Jüngstes Beispiel ist ein Film für den neuen Ultra HD Bildschirm von LG Electronics.


Das Erfolgsprinzip der „Versteckten Kamera“ ist das Unwissen seiner Protagonisten. 
Menschen werden in eine absurde Situation gebracht, mit der sie überhaupt nicht rechnen. Und dabei werden sie unbemerkt gefilmt.

Derb formuliert: sie werden verarscht. Alle anderen schauen zu. Und lachen sich schlapp. Weil 
Schadenfreude eben die schönste Freude ist. 

Es fällt allerdings vermehrt auf, dass diese versteckten Kameras gar nicht mehr versteckt sind, sondern wie ein Werbespot inszeniert werden. 
Bei diesem LG Werk kippt die Faszination für die Aktion, denn je länger er läuft, desto unglaubwürdiger die Reaktionen der "Bewerber". Das wirkt überinszeniert.

Trotzdem hat der Film seine Fans. Es sei ihm gegönnt.

Bei einer Testfahrt, bei der ein Autoverkäufer im Auftrag von Pepsi durch einen getarnten NASCAP Fahrer an die Grenzen seiner psychischen und physischen Leidensfähigkeit gebracht wird, ist es ebenfalls naheliegend, dass das Ganze gespielt wurde.



Warum? In einem Land wie Amerika, in dem Unternehmen schneller hohe Schadensersatzklagen durch Kunden am Hals haben als in jeder anderen Region der Erde, würde kaum eine Marke in Betracht ziehen, einen Menschen mit so einer Aktion an den Rande eines Herzinfarktes zu bringen.

Schlagzeile: Autoverkäufer bei verdeckter Werbeaktion getötet.

Die interessante Frage ist nun, ob diese Hidden Camera Filme noch ihre hohen Klickraten hätten, wenn allseits bekannt wäre, dass die Verarschung vorgegaukelt ist?

Bis die Antwort herausgefunden wird, stellen wir mit einer gewissen Süffisanz fest, dass der klassische Werbespot das Internet erobert. 

Gut erzählte Märchen mit überraschender Handlung finden auch hier ihre Fans. Das war früher so. Das ist heute so. Und das wird morgen so bleiben.

Das gute alte Storytelling. Es ist reizvoller und lebendiger denn je.

Sonntag, 8. September 2013

Erpressermailing und Rautenstorm.








Es ist wieder Wahlkampf. Und Wahlkrampf. Der Wähler blickt regelmäßig seit vielen Jahren, man ist geneigt, Jahre durch Jahrzehnte zu ersetzen, auf politischen Kampagnen voll fehlender Kreativität.

Ein Vorwurf, der auch dieses Jahr deutlich formuliert wird.

Ich kann mich dem nicht voller Überzeugung anschließen, denn ein paar Lichtstreifen am Horizont sind sichtbar. So viel kreative PR-Coups wie dieses Mal gab es noch nie. Und warten wir mal ab, was bis zum 22. September noch so alles in die Schlagzeilen kommt.

Der Horizont bezeichnet den Verriss der „Merkel-Raute“ in den sozialen Medien als Eigentor. Ich denke dagegen, es konnte einem Plakat mit der platten Headline „Deutschlands Zukunft in besten Händen“ nichts Besseres passieren, um doch noch irgendwie ins Gespräch zu kommen und das Investment zu rechtfertigen.

Die Schlandkette aus dem TV-Duell hat es zum heiß diskutierten Hashtag bei Twitter gebracht und wurde Gesprächsstoff. Ich bin sicher, sie war mit Bedacht umgehängt, wenn sich auch das belgische Volk mehr mit ihr identifizieren konnte als das deutsche. Was ihrer unglücklichen Hanglage geschuldet war.

Raabs „King of Kottelette“-Spruch im TV Duell hat Steinbrück ebenfalls PR gebracht und das Video für den Schulsprecher-Kandidaten nicht minder. Ausnahmsweise sogar mit ungeahnten Sympathie-Sonderpunkten.

Warum das Erpressermailing „Putzfrau und Schwarzarbeit“ an Steinbrück gerade jetzt seinen Weg jetzt in die Öffentlichkeit findet, lässt sich auch in mehrere Richtungen deuten.

Mit etwas wohlwollendem Abstand stelle ich also fest, dass die politischen Kampagnenmacher ein paar unerwartete kreative Highlights geschaffen haben, die es in dieser Ballung bisher in Wahlkämpfen nicht gab.

Der Pflicht-Veggie-Day der Grünen war vielleicht auch als solches Highlight geplant, hat sich nun aber viel mehr als klassisches Eigentor erwiesen als der Rauten-Shitstorm.

Bei all diesen vielen kleinen Lichtblicken erkennt der Profi natürlich, dass dem Ganzen die Linie fehlt.

Weil die Aktionen nicht geplant waren. Teilweise wollte man auch das Gegenteil von dem erreichen, was später folgte: Kommunikation in gnadenlosen Händen.

Doch wo soll bei so vielen Gremien und Lobbies, die sich in dieser Anzahl wohl nur in der Politik vorfinden, auch eine Linie (= große Botschaft und emotionale Relevanz) herkommen? Wenn es schon im Produkt (= Regieren) unseres Landes mit der Linie nicht klappt, wie denn dann in der Kommunikation?

Ich glaube, dass mangelnde Kreativität gar nicht das größte Problem der politischen Werber ist. Das größte Problem ist, eine spitze Positionierung zu erarbeiten, zu verabschieden und durchzusetzen.

Und da ist sie wieder, die täglich über all unserem Tun drohende Herausforderung:

eine crossmediale Kampagne mit Kunden zu schaffen, die nicht nur dezentral aufgestellt, sondern auch so eingestellt sind.