Dienstag, 23. Oktober 2012

Schöne heile Guerilla Welt.

3,8 Millionen Views in 4 Tagen. So viel falsch können die Erfinder der Guerilla-Aktion „Unlock the 007 in you“ nicht gemacht haben.


Der Film, um den es sich hier handelt, wird im Werberdeutsch gerne Case Film genannt. Er dokumentiert, wie diese Aktion abgelaufen ist.

Guerilla Werbung basiert auf dem Konzept, wildfremde Menschen an Orten, an denen sie es nicht erwarten, mit einer ungewöhnlichen Botschaft oder Aktion „zu überfallen“.

Wer so eine Aktion schon mal durchgeführt hat, der weiss, dass der Erfolg, den man sich erhofft, gut geplant werden muss.

Regisseure sagen inszenieren dazu.

Besonders dann, wenn der Aufwand, solch eine Aktion zu erstellen, hoch ist. Wer könnte es vor dem Kunden verantworten, dass sein Budget für eine Guerilla-Aktion nicht die gewünschte Reaktion der „überfallenen“ Menschen bringt und als fehlinvestierter R&D-Aufwand abgeschrieben werden muss?

Also hilft der erfahrene Guerilla-Kämpfer nach und überlässt weder zufällige Protagonisten noch spontane Reaktionen dem Zufall. 

Die Reaktionen der Protagonisten und die Reaktionen der umstehenden Menschen werden so gespielt, wie sich die Kreativen das schon in der Konzeptionsphase ausgemalt haben. 

Was eine gefilmte Dokumentation – ruck zuck – zu einem klassischen Werbespot macht.

Schöne heile Werber-Welt eben.

Da sage noch einer, klassische Werbung funktioniert nicht mehr. Eine Erkenntnis, die ich schon mal vor rund einem Jahr angedeutet habe.

Mittwoch, 17. Oktober 2012

Erfolg ist der natürliche Feind des Herausforderers.

It is more difficult to stay on top than to get there. 

Dieser Satz stammt von Mia Hamm. Sie ist eine der erfolgreichsten und bekanntesten amerikanischen Fußballspielerinnen. Unter anderem Weltmeisterin und Olympiasiegerin.

Wie die meisten wissen, vom Fussball zur Werbung ist es nicht weit. Die Brücke zu meinem Thema könnte also nicht besser gebaut sein:

Herausforderer, die plötzlich keine mehr sind.

Das begehrteste Klientel von Agenturen sind Establishment-Aufmisch-Marken. Weil es meistens die enthusiastischeren, aufstrebenderen und entschlosseneren Kunden sind.

Genau der Menschenschlag, den wir Kreative besonders mögen: mutig und risikobereit.

Doch der Erfolg bringt es mit sich, dass der Herausforderer irgendwann kein Herausforderer mehr ist, sondern auf einmal selbst zum Establishment gehört. Das David-gegen-Goliath-Prinzip hat ausgedient.

Die Mutigen in der Firma bekommen weniger Mutige an ihre Seite, denn aufgrund ihres Erfolges wächst die Firma. Auch in ihren Hierarchieebenen.

Und plötzlich entstehen Anzeigen wie diese:




















Apple ist das globale Paradebeispiel eines Herausforderers. Mindestens zweimal tot gesagt und doch immer wieder – und noch stärker als zuvor – auferstanden. 

Es hatte immer seinen Reiz für mich, eine Marke zu nutzen, die der Microsoft-Rest der Welt belächelt hat. 

Irgendwann kamen dann itunes, ipod, ipad – und Apple war keine Nischenmarke mehr. Als Ewigverwender trug man auch diese Entwicklung mit Stolz, schliesslich hatte man schon immer gewusst, dass Apple die bessere Marke ist.

Das Design sowieso, doch auch die Kommunikation der Marke war immer stilsicher. Nicht extravagant, nicht überambitioniert, nicht überkreativ – einfach so herrlich auf den Punkt.

Think different.

Und dann schalten die so eine Anzeige.

Mehr iphone als je zuvor.

Eine Marketingbinse in Reinkultur. 

Nichts dagegen, sein neues Produkt groß abzubilden. Nichts dagegen, einfach nur mit Headlines seinen Punkt zu machen. Nichts dagegen, kein kreatives Abenteuer zu riskieren.

Doch was hätte man nicht für starke Zeilen über das neue iphone schreiben können?

Stattdessen so ein schaler Master-Leersatz des Marketingvokabulars? Die Briefing-Proposition einfach abgeschrieben? 

Wenn ich wetten müsste, wer "Mehr XY als je zuvor" erfunden hat?

P&G? Unilever? Ferrero?

Es scheint nicht nur die Anzeige zu sein. Überhaupt wirkt die Kommunikation der Marke nicht mehr focussiert.

Think different. Vergessen?

Vermutlich, denn der Claim steht nicht mehr drunter.

Es gibt viele Marken, die im Großverdienerwahn ihren Kern vergessen. Permanentes Wachstum ist irgendwann nicht mehr mit Chuzpe zu generieren. Denn Chuzpe eckt auch an.

Die entscheidene Frage: muss es immer permanentes Wachstum sein?

Der Shareholder schreit: ja!

Die Erfahrung hält dagegen: nein.

Nach ewigen Wachstumsstreben kommt nun mal zwangsläufig der Absturz.

Wenn Mainstream-Kräfte die Führung des Ex-Herausforderers übernehmen (und da sind meistens CFOs dabei), dann ist der Anfang vom Ende eingeläutet.

Marken wie Bionade, ebay oder Nokia zeigen, wie sich Herausforderer im Mainstream verhaspeln. Manche gehen gar unter.

Eine starke Marke bleibt stark, weil sie ihre Grenzen akzeptiert. Und geniesst, sich darin immer wieder neu zu erfinden. 

Mia Hamm, diese amerikanische Fußballspielerin, deren Wortgewalt ich nun durch Zufall bei der Recherche entdecken durfte, hat dazu folgenden Satz parat:

True champions aren't always the ones that win, but those with the most guts.

In Reminiszenz an Herausforderer-Zeiten:

Samstag, 6. Oktober 2012

Abstinenz ist nicht der beste Weg.

Es ist kein Goldideen Zirkus mehr, es ist ein Jahrmarkt. Verkündet jetzt im Wochenrythmus ein großer Ranking-Player nach dem anderen, dass er sich eine Pause gönnt?

"Wir haben nichts gegen Wettbewerbe, wohl aber gegen deren Auswüchse", verkündet der wachhabende Kreativchef von S+F diese Woche.

Es ist sicher unbestritten, dass gerade die großen Kreativschiffe den Goldideen-Wahnsinn im Kampf um die vorderster Ränge jahrelang befeuert haben.

In Zeiten sinkender Margen und immer stärker werdenden Procurement-Chefs wird natürlich auch ein sechs- (oder gar sieben-) stelliges Award-Investment extrem kritisch beobachtet.

Da geht einer Agentur so richtig Profit flöten.

Abstinenz ist deshalb ein möglicher Aktionsplan, bestraft aber leider die falschen. 

Sie bestraft die wenigen Wettbewerbe, die es wert sind, weiter beschickt zu werden – um sie damit nicht zuletzt in ihrem Bestreben zu unterstützen, ehrliche Arbeit zu fördern und zu belohnen.

Sie bestraft die Mitarbeiter, die ehrliche goldträchtige Arbeit abliefern.

Der bessere weil vorbildhaftere Weg wäre, einfach nur noch ehrliche Arbeit einzuschicken.

Da sehen die großen Ranking-Helden nur ein Dilemma:

Sie können nicht mehr so nötige Masse an Goldideen wie in der Vergangenheit einschicken, um momentan im Ranking noch vorne zu stehen und laufen Gefahr, weit abgeschlagen auf den hinteren Rängen zu landen. 

Was wiederum negative Schlagzeilen verursacht:

X+Y weit abgeschlagen auf Platz 17. 

Einstiger Rankingstar stürzt ab.

Weil leider keiner schreibt:

Mit ehrlichen Ideen Platz 17 geschafft.

Deshalb wählt man lieber die Abstinenz und vermarktet sie großformatig. Mit dem netten Nebeneffekt, dass man in einem oder zwei Jahren wieder – ggf. voller Fakeslust – einsteigen kann.

Einen Vorteil haben die bekennenden Groß-Abstinenzler aber in jedem Fall: es kommt der längst fällige Druck in die Diskussion.