Montag, 27. Juni 2011

Sind wir kreative Emotionskrüppel?

Das Klischee über Deutsche bekommt 
wieder mal Wind. Er weht aus Cannes zu uns hoch. Das Klischee heisst, die Deutschen können keine großen Gefühle inszenieren. In einer Zeit, in der die ganze Markenwelt nach Emotionen förmlich schreit.

Da kommt die deutsche Agenturgemeinde mit einer historischen Löwen-Erfolgsserie (in der Länderwertung auf Platz 2 hinter den USA) nach Hause. Aber in der Emotionskategorie Nummer 1, dem Film, erklingt aus dem deutschen Trophäenjägerlager nach wie vor Katzenjammer.

Deutschland hat 4 der 186 Film-Löwen gewonnen. Die USA ganze 40.

Ein Erklärungsversuch in zwei Teilen.

Teil eins: Es ist nun leider mal so, dass die meisten deutschen Trophäen durch – nennen wir es mal – Goldinitiativen entstanden sind. Agenturen investieren Personal, Zeit und Produktionskosten in Ideen, die vom Kunden nicht gebrieft wurden. Mit dem erklärten Ziel: Awards. Diese Initiativen verfügen aber meistens nicht über die Budgets, die man benötigt, um im Film richtig was zu reißen.

Große Emotionen haben im bewegten Bild nicht immer etwas mit Budget zu tun. Aber doch sehr oft. Die meisten Gold- und Silberlöwen in Cannes sind sehr opulente Inszenierungen (wohltuende Ausnahmen bestätigen die Regel). Inzwischen im YouTube-fähigen 1- bis 2-Minuten-Format (was Filme auch nicht gerade billiger macht).

Teil zwei: In den Cannes-Jurys sitzen Menschen aus aller Herren Länder. Ländern wie Argentinien, Brasilien, England, USA, UK, Südafrika, der Türkei etc. Länder, in denen Emotionen ganz anders gelebt werden als hier. Und Filme eben deshalb auch ganz anders beurteilt werden.

Bei diesem Juryklientel trifft die rationale deutsche Geradlinigkeit (auch im Off) nicht so ins Herz.

Meine Theorie mit dem Budget und der 
Jury-Zielgruppe passt im kleinen Cannes (Werbefestival) genauso wie im großen Cannes (Filmfestival). Auch da kommen die großen Budgets und die großen 
Emotionen meistens aus anderen Ländern.

Wem das alles nicht einleuchten will, der glaubt vielleicht das: Emotion hat bei Werbung und Kommunikation sehr viel mit Humor zu tun. Der deutsche Humor ist allerdings nicht ganz so cosmopolitisch wie der schwedische, der holländische oder der amerikanische.

Zu miesepeterhaft deutsch gedacht? Ok, dann ziehen wir Deutschen unsere Freude einfach daraus, dass wir es mit unserer gut geölten Goldinitiativen-Maschine endlich geschafft haben, den Rest der Welt zu überrollen (die deutschen Kreativpanzer haben zugeschlagen – könnte die englische Kommunikationsfachpresse jetzt herrlich polemisieren).

Eine Maschine, hinter der ein ganz rationales Kalkül steckt: je mehr Preise, desto mehr PR.

Kommt da wirklich echte Emotion auf?




Mein Lieblingsfilm beim diesjährigen Cannes Festival in der Kategorie Film. Einschließlich eines clever gedachten "Off": Imported from Detroit.

12 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

G R O S S A R T I G! dieser artikel hat mir gleich doppelt aus der seele gesprochen. nach einem nicht unemotionalen fokus auf cyber, habe ich gestern mal angefangen, die filmwinner durchzuschauen. die angelegenheit war so emotional, dass sie mich zwingt, hier anonym zu kommentieren: tränen waren dabei. lacher. und gänsehaut. und dabei bin ich erst bei bronze angelangt. dein lieblingsspot zählt auch zu meinen absoluten top-favoriten. der bläst mich immer wieder weg. und gleichzeitig ist es ein schönes beispiel, das auch hätte in deutschland entstehen können. die premium-hersteller mit den entsprechenden budgets sind im automobilbereich da. also keine entschuldigung in diesem falle – sondern inspiriernedes können von einem brillianten strategen / texter / art director! und damit eine unglaubliche lust, sich mal wieder auf dieses medium vorzunehmen.

Anonym hat gesagt…

Sorry, aber das Problem ist nicht einfach Film. Das Problem ist, dass es nicht eine einzige echte Kampagne in Deutschland gibt, die auch nur annähernd mit dem Rest der Welt mithalten kann.

99% der Sachen sind ja nur einzelne Fake/Gold Ideen.

Mit Markenführung etc. hat das alles nichts zu tun.

Zschaler hat gesagt…

@anon12:32h: Du hast völlig recht, das Problem ist nicht Film allein. Nur in keiner anderen Kategorie wird das eigentliche Dilemma, nämlich echte vs. unechte Markenführung so deutlich wie da.

Anonym hat gesagt…

Ernstgemeinte Frage:
Wie kommt es, dass wir offenbar den Humor und die Emotonalität der internationalen Clips verstehen und der auch bei uns funktioniert, aber wir als deutsche Werber sind offenbar nicht dazu in der Lage vergleichbares für den deutschen Markt zu machen. Liegts an uns? Weil Humor verstehen aber selber "machen" eben nicht das gleiche ist?

Oder würden Spots die international verstanden würden/ funktionieren würden im deutschen Markt nicht funktionieren?

(PS: Ansonsten Zustimmung. Das Gefake macht irgendwie Bauchschmerzen. Insbesondere wenn es dafür in Kategorien Auszeichnungen gibt in der die Agentur außer einer Goldidee keinerlei Kompetenz hat. Ist aber eine andere Diskussion)

Anonym hat gesagt…

An emotionalen Ideen mangelt es sicher nicht. Dasselbe gilt bei Funk, ich als kleiner Texter versuche jedes Jahr, jede Goldrunde emotionale Funkspots, die bewegen und auch noch Ideen haben vorzustellen. Natürlich sind diese dann nicht 20-30 sek. lang.
Mein Wink mit den letzten 3 Grand-Prixs (Emo, keine einfache Idee, teilweise über 60s) wird jedesmal mit "im Funk muss alles auf den Punkt sein", "so funktioniert das nicht" und ähnlichem abgeschmettert.

Ebenso wiederum bei Film. Vignetten, Emo, Humor und schöne Texte will scheinbar kein CD oder GF verstehen. Hauptsache schnell und billig. Was tun?

Marc Wirbeleit hat gesagt…

Emotion hat viel mit Relevanz zu tun, und das ist das, was bei Goldideen in der Regel fehlt.

Es ist nicht so, dass wir keine Emotionen können. Es ist nur leider so, dass wir jenseits der goldenen offenbar keine großen Ideen verkauft kriegen - Ausnahmen bestätigen die Regel.

Anonym hat gesagt…

gebe marc recht. ich glaube, die kunde vertrauen den agenturen in deutschland einfach nicht.

kein wunder, wenn man bei jeder kundenkritik (sei es idee oder kosten einer produktion) direkt einknickt.

ich denke nicht, dass wir weniger emotional kreativ sind. wir können uns nur weniger gut verkaufen (stichwort markenführung). eine kreativagentur muss nun mal nicht nur in der kreation kreativ denken.

da sind goldideen, die man ohnehin selbst finanziert natürlich der "einfachere" weg.

filmhaus hat gesagt…

Wieder ein wahrer Zschaler. Ausserdem schliesse ich mich Marc an.. Stimmt. Das Goldideengehabe kriegst halt auch nicht raus, leider. Wir sind Generalproben-Weltmeister...:)
Der Chrysler film ist auch einer meiner Favoriten, weil so unprätentiös und gerade... Chapeau. Grüße B

Anonym hat gesagt…

An dieser Stelle würde mich schon einmal die Meinung eines ADC-Mitglieds interessieren.

Ich freue mich zwar auch (irgendwie), dass Deutschland kreativ mithalten kann, aaaber, dass sich das in 9 von 10 Fällen nur mit einer Goldidee erreichen lässt, hinterlässt bei mir schon seit Jahren einen fahlen Beigeschmack.

Nicht erst seit gestern leben deutsche Werbeagenturen in Parallelwelten. Man lügt sich selbst in die Tasche, in dem man mit schicken Case-Filmen auf der eigenen Homepage Cannes-Erfolge feiert, die aber außer in ein paar Jury-Räumen nie wirklich das Licht der Welt erblickt haben.

Schaut man aber hinter die goldglitzernde Fassade landet man schnell auf dem Boden der Tatsachen. Das ist plötzlich nix mit mehr mit Rose-Schlürfen in Cannes, da heißt´s den X-ten Vignetten-Relaunchfilm schrubben oder die hundertste Fachanzeige.

Was nicht schlimm wäre - denn dieses Daily Business macht man auch bei DDB Chicago- würde man nicht immer häufiger von den jeweiligen Kreativ-Geschäftsführer bei großen Kampagnen oder Pitches Statements hören wie: "Geile Idee, aber nimmt der Kunde nicht.", "Große Gedanke, aber nix für´s Briefing. Heb´s dir mal auf.", "Wow, Hammerfilm, aber damit gewinnen wir den Pitch nich`."

Zugegeben: Die Kunden machen es uns verdammt schwer bis unmöglich und außerdem will man mit ner Agentur ja auch Geld verdienen um Mitarbeiter zahlen zu können. Richtig!

Aber: Es schleicht sich immer mehr das Gefühl ein als ob deutsche Werbeagenturen schlicht aufgegeben hätten wirklich, wirklich gute Kampagnen/Ideen zu präsentieren und diese Ideen lieber auf dem Goldweg (ohne Hindernisse) zu verwirklichen. Vielleicht noch in stiller Hoffnung im Nachhinein die Idee dem Kunden noch umhängen zu können.

Was ich besonders dramatisch daran finde ist das in letzter Zeit häufiger gefallene Wort "Relevanz" in Verbindung mit Ideen. Denn: Machen wir auf diesem Wege weiter - so meine Meinung - könnte sich auf Kundenseite irgendwann die "Relevanz" von Werbeagenturen stellen.

Denn die Kampagnen/Ideen zu denen man uns zwingt (oder wir uns zwingen lassen) sind immer häufiger Ideen, die man schneller und konstengünstiger mit kleinen Inhouse-Butzen umsetzen könnte als mit einer namhaften Werbeagentur.

Hier wäre mal wirklich für mich der ADC gefragt. Denn statt überteuerter "Kreativ-Workshops" mit anschließenden Sushi-Häppchen zu veranstalten, wäre es sinnvoller diese Energie in ein Konzept zu stecken, dass uns auf Tagesgeschäfts-Ebene (und das ist die wahre harte Währung unseres Jobs) wieder tolle SICHTBARE Kampagnen machen lassen kann, die da draußen die Menschen erreicht und bewegt.

Denn dafür bin ich damals in die Werbung und genau deshalb macht der Job auch noch Spaß.

Außerdem: Was haben den die Cannes-Erfolge deutschen Werbeagenturen wirklich gebracht? Die wirklich großen internationalen Etats gehen nach wie vor nach England, Holland, USA, etc., während man sich hierzulande die Köppe für ´nen Maggi-Etat einschlägt.

Ein Beispiel, nur am Rand erwähnt: Die Agentur 180 Amsterdam betreut Adidas und ich kann mich nicht erinnern, dass sie dieses Jahr groß bei Cannes abgeräumt haben. Auf deren Homepage findet man nicht einmal irgendeinein Hinweis auf Awards.

Sie brauchen dies anscheinend nicht.

Zschaler hat gesagt…

@anonym18:27(longopy): Du fragst mich nach meiner Meinung? Ich hätte es nicht besser als du schreiben können. Ich habe in den vergangenen 2,5 Jahren seit Bestehen dieses Blogs zwar immer mal wieder versucht, das wirksam zusammenzufassen, aber keiner hört auf mich. Ich erspare es mir, die mindestens 20 Beiträge zu diesem Thema rauszusuchen. Vielleicht nur dieser eine, weil er die Konsequenzen unseres Tuns darzustellen versucht: http://tinyurl.com/5swwv5c.
Und dann vielleicht noch der: http://tinyurl.com/4xsx7ph

Mark Sargent hat gesagt…

Wir sichern das was wir tun werden erst einmal ab, damit beginnt auch Knausrigkeit und Geiz gleich einmal bei uns. Wenn GF, CD es nicht abnicken, versuchen wir es erst gar nicht, da es unserer Karriere nicht förderlich aber schädlich sein würde. Kollegen aus Dänemark haben mich begeistert, da sie kein Powerpoint und kein Rational brauchten, um ihre Idee vorzustellen, sie waren einfach vor die Türe gegangen und haben einen kleinen Film gedreht und ihn dann auf dem Handydisplay vorgeführt. Es ist wie mit einem Scribble, die Kernidee kommt rüber oder auch nicht. Sehr beeindruckend und richtig, tun ist gut.

Jakob Springer hat gesagt…

Ich finde der Ansatz sollte so sein, wie in diesem Clip:

http://www.youtube.com/watch?v=81ikAaxHC-Q

Agenturen, die Dinge aus reinem Selbstzweck machen, schaden der Branche langfristig gesehen. Ich kenne einige Marketingleiter, die vorher in Agenturen waren, und sich jetzt sagen: ich weiß doch was in Agenturen passiert und lasse mich jetzt nicht mehr verarschen.

Awardgeilheitsgoldideen und hart erkämpfte gute Alltagskreation klaffen zu weit auseinander, so können sie sich nicht finden.