Dienstag, 27. Juli 2010

Vermisstenanzeige.

Wo kommen gute Ideen eigentlich her? Diese Frage bekommt man von jungen Leuten, die in unsere sogenannte Kreativbranche einsteigen, immer wieder gestellt.

Natürlich gehört zu guten Ideen eine gewisse Portion Talent. Und eine gewisse Portion Intelligenz (mal mehr, mal weniger). Aber vor allem gehört dazu eine große Portion Fleiss.

Der Fleiss, sich akribisch die richtigen Informationen zu besorgen. Genau die, die einen zu besagten Ideen führen.

Das digitale Zeitalter hat uns im letzten Punkt ganz schön viel abgenommen.

Bei einem Pitch beispielsweise können wir alles im Netz recherchieren. In Blogs erfahren wir das Konsumentendenken, bei entsprechenden Service-DotComs bekommen wir die Konkurrenzslogans, Werbemittel und Marktdaten – und wenn wir irgendwelche technischen Details oder weiß der Henker was wissen wollen: Google, Wikipedia oder YouTube machen uns schlauer.

Schlauer vielleicht, aber sie machen uns nicht unbedingt kreativer.

Weil die Kollegen auf genau dieses Material ja auch Zugriff haben, ist die Gefahr groß, dass sie ähnliche Schlüsse ziehen und sich zu ähnlichen Lösungen inspiriert fühlen.

Worauf die Kollegen aber keinen Zugriff haben, sind meine persönlichen Eindrücke, Erfahrungen und Antworten, die ich in einem Gespräch am Tisch, im Laden oder am Fließband mit Kunden bekomme.

Eine Erkenntnis, die ich in diesem Blog schon an anderer Stelle strapaziert habe, weshalb ich mir schon wie so ein klugscheissender alter Druide in einem schlechten Asterix- und Obelix-Comic vorkomme. Aber in den letzten Wochen und Monaten ist diese Erkenntnis durch verschiedenste Erlebnisse zurück auf meine Gehirn-Agenda gelangt.

Was von Vorteil ist, weil man ja selbst zur digitalen Recherche-Bequemlichkeit neigt.

Ich stelle immer wieder fest, dass ich die besten Ideen (oder zumindest ihre Ansätze) immer dann habe, wenn ich mit den Kunden über ihre Situation, ihre Einschätzungen zum Markt und zur Marke, zur internen Situation und vor allem über ihre persönlichen Erwartungen und Zielen rede.

Da kommen die Halbsätze, die das Potential zu einem Strategieansatz oder einer Kampagnenidee haben können.

Und wenn nicht, dann kann ich zumindest erfühlen, was Kunden mit Sicherheit nicht wollen.

Doch im Zeitalter der digitalen Kommunikation, in der es normal ist, dass man vom Empfang seiner Firma eine e-Mail bekommt, dass man wirklich ganz dringend den wichtigsten Kunden zurückrufen soll, denn es gehe um Leben und Tod, muss man sich nicht wundern, wenn auch die ganzen Hintergrundinformationen der Kunden mehr und mehr als emotionslose PDFs oder DOCs zu einem gelangen.

Online-Pitches, bei denen eine persönliche Kontaktaufnahme in erster Instanz nicht gewünscht sind, sind für mich Unfug.

Wenn man für seine Marke und sein Budget einen neuen Kommunikationspartner sucht, dann sollte man doch mal miteinander reden und sich in die Augen sehen. Schon allein um festzustellen: können wir überhaupt miteinander?

Natürlich ist es für alle Beteiligten in unserem eng – weil digital – getakteten Tagesablauf lästig, die vielen möglichen Agenturen im Screening persönlich zu besuchen, die Reisen auf sich zu nehmen und mit jedem Pitchteilnehmer Gespräche zu führen. Von den Kosten ganz zu schweigen.

Doch wer wirklich an besserer Kommunikation und an seiner Marke interessiert ist, sollte diese chemische Prüfung vornehmen.

Dies gilt im übrigen auch für die Agenturleute, die sich ihrer vermeintlichen Computerallmächtigkeit ergeben haben und sich davor den Arsch platt sitzen statt mit Verve zu versuchen, nicht vielleicht doch ein Gesprächstermin zu erwirken.

Oder für die Kreativen, die Werbung für die Kunden des Supermarktes machen, aber selbst dort nie einkaufen geschweige denn mit solchen Leuten mal reden.

Ich gebe deshalb hiermit eine Vermisstenanzeige auf: Vermisst wird das persönliche Gespräch.




Remake TVC „Diner“ von Pepsi. Agentur TBWA/Chiat Day. Man sieht, dass das persönliche Gespräch auch Rivalen weiter bringt. Das Original des Spots siehe unten.



Leider ist diese original Version für Pepsi (von BBDO) immer noch um Längen besser. Glaubwürdiger erzählt, intensivere Bilder, stärkeres Casting, stimmigere Story und eine bessere Musik.

Joe Pytka war einfach ein Meister seines Faches. Und Remake selten besser als das Original.

9 Kommentare:

Bob Hope hat gesagt…

Hmm.. laut Horizont sind aber beide Filme vom Joe. Trotzdem stimme ich zu, der erste ist besser.

Anonym hat gesagt…

Wenn man sich das Ergebnis so anschaut, habt ihr bei Parship wohl nur miteinander gefaxt.

ch hat gesagt…

Stefan, ich halte den Gedanken Deines Textes für absolut richtig. Und (literally) hautnahe Erfahrung mit Mensch und Materie für unersetzlich.

Aber auf eines möchte ich noch hinweisen. Du schreibst:

"Weil die Kollegen auf genau dieses Material ja auch Zugriff haben, ist die Gefahr groß, dass sie ähnliche Schlüsse ziehen und sich zu ähnlichen Lösungen inspiriert fühlen."

Ich möchte diese Gefahr noch ein bisschen mehr relativieren. Denn "dieses Material" ist vielleicht für alle existent, doch nicht für alle auffindbar.

Was jemand mit Google findet, hängt trotz aller technologischer Fortschritte immer vom Benutzer ab. Ganz zu schweigen von all den Informationen, die man mit Suchmaschinen überhaupt nicht findet.

Desk research ist sicherlich nicht gleich desk research. Und desk research, da stimme ich wieder zu, ist auch in guter Ausführung noch lange keine field research.

Zschaler hat gesagt…

@bob hope: Ups, auch vom Altmeister? Verwundert mich.

Zschaler hat gesagt…

@anon9:44: lol - aber mir ist ein kritisches Fax mit offenem Visier (einem Absender) immer noch lieber als ein feiger Stänkerkommentar von Anonym.

Anonym hat gesagt…

Sollte kein Stänkerkommentar sein.
Hätte mir nur mehr von Euch erhofft.

Und Anonym finde ich besser als Pseudonym.

Roland Radikal hat gesagt…

Stänker? Hier wird gestänkert: http://deinstallationskuenstler.blogspot.com/

Blecke hat gesagt…

Im Prinzip alles gut und richtig, was da in dem Artikel steht, unr leider etwas fernab vom aktuellen Arbeitsalltag in Agenturen. Denn die Zeiten ausgiebiger Karibik-Trips zur Feldforschung für einen Barcadi Spot sind sowas von vorbei. Heute heisst es einfach: Wir brauchen bis gestern eine Idee für morgen. Da kann man entweder auf bereits gemachte Erfahrungen (Uni-Party!!) oder Second-Hand Info (Vorplatz Hauptbahnhof) hoffen. Sonst bleibt nur das Netz. Leider...

Zschaler hat gesagt…

@Blecke: Habe ich irgendetwas davon geschrieben, in die karibik zu fahren, um interessante Anregung zu bekommen? Ein Gespräch im Supermarkt geht auch in der Mittagspause.