Mittwoch, 20. Januar 2010

Reste-Jurys.

Das Ergebnis und die Haltung eines Kreativ-Wettbewerbes hängt von der Qualität seiner Jurys ab. Womit das Dilemma des deutschen ADC in einem Satz beschrieben ist.

Das momentan laufenden Auswahlverfahren der Juroren zum Wettbewerb 2010 unterstreicht diese These. Im Hauptwettbewerb finden sich inzwischen 22 Kategorien, für die 22 Jurys à 13 Mitglieder gewählt werden. Dazu gesellt sich der parallel laufende Nachwuchswettbewerb mit 5 Jurys à 11 Mitgliedern.

Es werden also 341 Juroren gewählt.

Aber gewählt kann man das eigentlich nicht mehr nennen, denn für rund die gefühlte Hälfte aller Jurys haben sich nicht genug Bewerber gefunden. Wer sich also in einer der vielen dünn besiedelten Regionen angemeldet hat, ist quasi automatisch Juror.

Wie kommt das?

Die kontinuierliche Erweiterung des Clubs auf alle möglichen Disziplinen und die damit beabsichtigte Diversifizierung in entsprechende Unterkategorien fordert ihren Tribut.

Mit einem Kategorien-Ungetüm (siehe unten) versucht der ADC, der Fragmentierung in unserer Kommunikationslandschaft Herr zu werden. Was logistisch und strukturell die richtige Antwort sein mag, bereitet einem emotional irgendwie Bauchschmerzen.

Spätetstens jetzt versteht man das Unterfangen der Herren Heffels, Jung und Jahn, diesem Einsende-Wahn mit einem einfachen Konzept zu entgegnen.

Während die Lösung dazu vermutlich in der Mitte beider Welten liegt (das Dreierteam überarbeitet gerade sein Konzept für nächstes Jahr), muss man auch das Jury-Wahlsystem des ADC kritisch beleuchten.

Für Nicht-Insider: Jedes ADC-Mitglied (momentan rund 560) hat die Möglichkeit, sich für eine beliebige Jury (und zwei Ersatz-Jurys) bewerben. Wird man nicht in seine favorisierte Jury gewählt, rückt man in eine der Ersatz-Jurys auf.

In der Praxis gibt es aber nur rund 7 Jurys, um die sich relativ viele Leute kloppen (zwischen 20 und 30 für besagte 11 Plätze). Das sind immer noch die Königskinder Print, Out-of-Home, Film, ganzheitliche Kommunikation sowie einige Nachwuchskategorien (da geht es auch drum, die Namen der Talente auszuspähen).

Alle restlichen Jurys sind mit 100% Annahmegarantie versehen, weil nicht genug oder gerade ausreichend Bewerber. Diese "weniger beliebten" Jurys werden dann nach der Wahl mit all jenen aufgefüllt, die es nicht in ihre favorisierte Jury – oder gar Ersatz-Jury – geschafft haben.

Jemand, der also am liebsten in die TV-Jury gegangen wäre (und entsprechende Kompetenz besitzt, z.B. ein Regisseur), muss sich später plötzlich mit Illustrationen befassen.

Die eventuelle Motivations- und Kompetenzlage dieses Jurors braucht man nicht weiter zu erörtern.

Ein Sachverhalt, der meiner Meinung nach schon ausreicht, um das Besetzungs-System komplett neu zu konzipieren. Es ist zwar richtig, dass die Straffung des einen (der Struktur) auch die Verbesserung des anderen (der Jurys) mit sich bringen würde. Dennoch sollte man ein Konzept erarbeiten, dass die Qualifikation und die Souveränität der Juroren für die einzelnen Kategorien noch mehr in den Mittelpunkt stellt.

"Berufen durch ein Gremium" statt "sich selbst bewerben und ankreuzen" ist meiner Meinung nach der Schlüssel. Cannes, D+AD und OneShow machen es vor.


16 Kommentare:

elide hat gesagt…

Ein Grauen, was hoffentlich bereits mit dem nächsten ADC-Wettbewerb wieder verschwindet. Wobei man, wenn man die Werbung um den Wettbewerb so betrachtet, meinen könnte, dass die ADC-Macher äußerst überzeugt von ihrem neuen Modell sind. Traurig, traurig.

Grüße und Danke für den schönen/informativen Blog,
elide

Anonym hat gesagt…

Herrlich.

Werbung kann sich selbst nicht organisieren. Wirbt aber immer damit, Kundentöpfe bestens organisieren zu können.

Und gibt dafür Unsummen von Geld aus. Wer mitmacht, steht morgen im manager magazin. Wer nicht, auf der Straße.

Ein klasse Artikel zu einem klasse Thema.

Wir sind die Banker von heute. Und die Drucker von morgen!

Payam

Anonym hat gesagt…

Und wer beruft das Gremium?

Zschaler hat gesagt…

@anon18:32: Das Gremium wird z.B. aus dem jährlich wechselnden Jury-Präsident und zwei ebenfalls jährlich wechselnden anerkannten Fachleuten der jeweiligen Hauptkategorien gebildet.

Anonym hat gesagt…
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Anonym hat gesagt…
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Anonym hat gesagt…

Bin in die OneShow berufen. Habe ich jetzt gewonnen? :-)
Götz

Zschaler hat gesagt…

@Götz: Ja, du gewinnst die Erkenntnis, dass in Jurys wie der OneShow eine Diskussion auf ganz anderem Niveau stattfindet als beim ADC. Und dass es noch so etwas wie Idealismus für das Bessere gibt, auch wenn die Arbeit nicht von einem selbst ist.

Anonym hat gesagt…

Das stimmt. Allerdings gibt es auch im ADC noch ein paar Leute, die sich nicht vor den politics-Wagen spannen lassen. Allerdings nicht in den "Königskinder"-Kategorien. Sehr deutsch. Und auch aus diesem Grunde in ihrem Urteil öfter mal weit daneben.
Götz

Richard Jung hat gesagt…

Hallo Stefan,

interessante Gedanken und edles Vorhaben und das meine ich, auch wenn es anders klingt, ohne Ironie! Wenn ich Dich recht verstehe sind Deine Forderungen, in einem Satz:

Weniger und qualitativ hochwertigere Jurys bzw. kompetenter besetzt plus weniger Lobbyismus und Einsendeinflation.

Und das Ganze durch:

A.) Strafung der Struktur, vor allem aber durch

B.) Jury-Qualifizierung durch Entdemokratisierung

Zu A.) stellt sich die Fragen:

Nach welchen Kriterien kategorisieren? (Disziplin? Medium? Branche?)

Was wäre dann eine „Disziplin“? (Ist Digitaldesign oder Direct z.B. Keine Werbung? Und: warum ist Werbung kein Design?)

Wie der ausufernden Medieninflation „Herr“ werden?

(Unser alternativ Modell gibt darauf Antworten, aber das nur am Rande)

Zu B.) meine Meinung:

Ich halte es für falsch Cannes, New York oder London zu imitieren, dass wird unserem Standort und dessen Leistungen der vergangenen Jahre nicht gerecht. Dem ADC mit seinem Anspruch erst recht nicht (= Im Moment: „Impulsgeber für die sich stetig wandelnde Kommunikationsbranche ...Maßstäbe für kreative kommunikative Exzellenz” ... !?... so steht’s zumindest auf: www.adc.de).

Außerdem können wir nicht auch noch eine Wettbewerbsplagiatsdiskussion gebrauchen.

Ganz davon abgesehen besetzen gerade die von Dir genannten Wettbewerbe auch nach wirtschaftlichen Interessen.

Letztendlich verschiebst Du mit Deiner Forderun die Lobbyebene, mehr noch Du intensivierst sie, weil Du einigen wenigen die „Macht” (...klingt pathetisch meint aber das Richtige) gibst auszuwählen!? Und: Wo willst Du bei deren Auswahl anfangen (siehe Beitrag weiter oben: Gremium, wählt Gremium, wählt Gremium, nach den Kriterien X, Y, Z, das ufert doch auch bürokratisch aus.

Ich finde, dass unser demokratisches Prinzip zum ADC für Deutschland e.V. Gut passt. Vielleicht kein perfektes System, aber die Alternative wäre eine Art Monarchie, Oligarchie, Diktatur... Willst Du das wirklich? Ich nicht.

Ich bin der Meinung, wir müssen uns „befreien“ vom Diziplin- und Medien- bzw. Kanaldenken (= Tunnelblick!?) und den Fokus auf die Inhalt legen , so kann jeder von unseren heterogenen Clubkollegen/innen einen kompetenten Beitrag leisten.

Mit Inhalt meine ich eine überraschende, überzeugende Lösung für ein „Kommunikationsproblem".

Die „richtige“ Form (...und das meint etwas anderes als Erlers „gute" Form) ergibt sich (form follows content) zwangsläufig und kann ebenfalls fachübergreifend beurteilt werden.

Wer das nicht kann, dürfte (eigentlich) nicht im Club sein.

Vereinsmeierischen Gruß
Richard

Richard Jung hat gesagt…

„Straffung“ der Struktur soll heißen, sorry!

Zschaler hat gesagt…

@Richard: Ich finde ein jährlich wechselndes Gremium, wie ich es oben (vor 7 Kommentaren) beschrieben habe, wirkt jeder Lobby am besten entgegen. Ganz ausmerzen kannst du das ja eh nie. Ob das andere Wettbewerbe ähnlich machen, ist doch wohl eine eitler Nebenkriegsschauplatz. Es geht um Qualität.
Es kann aber nicht wirklich dein Ernst sein, dass du ein System, in dem Agenturen mit sehr vielen ADC-Mitgliedern sich gegenseitig selbst in jede Jury wählen und andere durch gezieltes Nichtwählen blockieren können, als demokratisches Prinzip bezeichnest und gut findest. Geschweige denn eine objektive Qualität fördernd.

Richard Jung hat gesagt…

... leider ist sehr wenig perfekt, schließlich gibt es auch im richtigen Leben mehr Menschen, die im Automobilbau inkl. Zulieferer beschäftig sind, als sagen wir: Theaterschauspieler!?

Aber deshalb gleich das System in Frage stellen und nach einer starken Mann/schaft rufen!?

Ich glaube außerdem, dass sich - falls es diese wirklich noch gibt - die sog. „Großagenturinteressen“ mittlerweile neutralisieren, weil die einen aus Agentur A ein gemeinschaftliches Interesse haben, dass die anderen aus Agentur B nicht reinkommen. Und umgekehrt.

Aber wie und ehrlich gesagt, bin ich davon überzeugt, dass das Schnee von gestern ist und heute keine Rolle mehr spielt.

Auch, weil der Anteil der Freien und Angehörigen kleiner Büros im Club mittlerweile recht groß ist.

Außerdem haben sich viele Großagentur ADC Mitglieder auf viel mehr Großagenturen verteilt fals noch vor ein paar Jahren.

Und: „Objektive Qualität“ ist eine noch viel größere Utopie, als eine gerechte Demokratie.

Ich finde, wir sollten erst einmal die Baustelle „ADC Awardkonzept" angehen, danach wird sich vieles fast von alleine lösen lassen.–

Zschaler hat gesagt…

@Richard: Ein neues Awardkonzept ohne Jury-reform ist wie ein neues Auto bauen und den Motor vergessen. Und was dein "sich gegeneinander aufheben"-Gedanken angeht: der ist naiv. Da weiß ich einfach mehr.

Richard Jung hat gesagt…

... wie gesagt, wenn sich das Denken ändert, weg von Disziplin/Medium hin zur Branche und damit zum Inhalt, sollten alle Mitglieder in der Lage sein qualitativ gut zu jurieren.

Sollte das nicht der Fall sein, kann sich der Verein gleich in Frage stellen.–

Was das „mehr wissen“ angeht, so ist das immer auch eine Frage der Perspektive. Ich seh' das anders, weil mein Standpunkt ein anderer ist. So gesehen ist Dein „mehr wissen“ relativ.

Etwas anderes ist jedoch ein ganz anderes Problem:

Das dominante Menschen, die Meinung unsicherer Zeitgenossen beeinflussen können, wirst Du mit keinem Jurysystem dieser Welt ausmerzen können.

Auch nicht das Problem potentielle Arbeitgeber vs. Freie bzw. potentielle Arbeitnehmer in einer offenen Diskussion über bestimmte Arbeiten.

Denn das sind die viel größerer Qualitätskiller - objektiv gesehen ; )

Allerbesten Gruß
Richard

Anonym hat gesagt…
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