Dienstag, 5. Mai 2009

Das verdammte Kunden-sind-so-Gen.

Ich sehe mich hier im Blog immer wieder mit der Frage konfrontiert, warum in anderen Ländern, speziell in England und Amerika, die Werbung ein höheres Niveau hat.

Warum kriegen die scheinbar so viel mehr Meisterwerke raus als wir?

Zuerst einmal ist das ein Wahrnehmungsproblem.

Immer, wenn ich für eine neue Automarke gearbeitet habe, befiel mich der Eindruck, dass unglaublich viele Mercedes-Automobile auf der Strasse fuhren. Dann arbeitete ich für Audi und plötzlich sah ich viele Audis. Dann BMWs. Und heute Skodas.

Mit exzellenter Werbung ist das ähnlich.

Wer durch die Archivwelten des Webs nach starken Ideen surft, sieht so viele Meisterwerke aus aller Herren Länder, dass sich automatisch das Gefühl einstellt, in anderen Ländern ist die Werbung einfach besser.

Auch Englisch – quasi als Muttersprache ausgezeichneter Werbung – macht die ein oder andere Anzeige aus unserer deutschen Sicht meistens noch mal einen Hauch besser als sie in Wirklichkeit ist.

In England und Amerika gibt es genau so viel grauenhaftes Zeug, wenn nicht sogar mehr, als in unseren Gefilden.

Aber es gibt eben auch weit mehr Highlights.

Die Kultur und das Verständnis für Werbung in diesen Ländern ist anders.

Und die Kreativen kämpfen noch intensiver und noch energischer darum, eine gute Idee on air zu kriegen (siehe auch einen Kommentar zu den zahlreichen Initiativen der Kreativen und der mühsamen Entstehungsgeschichte des „Gorilla“-Spots für Cadbury – hab den Kommentar leider nicht mehr genau lokalisieren können).

Nicht nur – aber auch – durch die Fake- und Goldmedaillen-Mentalität ist bei mir der Eindruck entstanden, dass viele Kreative in Deutschland gar nicht mehr richtig um die gute Idee ringen.

„Kunden sind eben so, die wollen keine mutige Werbung“! Deshalb macht man schnell das, von dem man glaubt, dass es den Vorstellungen des Kunden entspricht – und verwendet seine restliche Zeit und Energie lieber auf Goldideen.

Das ist eine Sackgasse.

Wir müssen unsere Leidenschaft auf die realen Briefings lenken. Wenn der Kunde die Idee beim ersten Mal nicht kauft, dann sollten wir nach Hause gehen und einen neuen Anlauf nehmen.

So lange, bis man die Nuss geknackt ist.

Ich weiß, ich weiß, ich weiß.

Dass diese meine Sicht eine sehr idealistische und reduzierte Sicht von teilweise sehr komplizierten Kunden-Agentur-Beziehungen ist. Und dass es im Alltagsgeschäft nicht zu jeder Zeit realisierbar ist.

Aber wer aufgibt, hat von vornherein verloren.

Ich kann nur aus meiner Erfahrung berichten, dass der Kampf um die gute Idee früher ein ganz anderer war als heute.

Ganz einfach weil es das Thema Goldideen noch nicht gab und man als Kreativer wusste, dass es nur diese Chance gibt, eine gute Idee an die Öffentlichkeit zu bekommen.

Es ist nur zu leicht, die Schuld auf die Kunde zu schieben.

Der Goldideen-Widerstand ist bei Kunden natürlich viel geringer und es liegt in der Natur der Sache, dass der Mensch lieber den Weg des geringsten Widerstandes geht.

Dieses „Kunden-sind-so“-Gen ist inzwischen so ausgewachsen, dass unsere Kreativszene eine fatalistische Seele bekommen hat.

Ich bin sicher, dass es auch in Deutschland den einen oder anderen Bierkunden gibt, der die „Walk-in Fridge“ Spots zugelassen hätte.

Es ist an der Zeit, sich an die eigene Nase zu fassen und vielleicht das eine oder andere Verhalten zu ändern.

Ich habe übrigens eine große Nase.



Ein ungewöhnlicher Film für Philips Carousel, den ersten Fernsehapparat in Kinoleinwandformat. Agentur: Tribal DDB, Amsterdam, Regie: Adam Berg.

Am besten auf www.cinema.philips.com im 21:9 Format ansehen.


Rauskriegen von Meisterwerken muss nicht immer heißen, es ins Fernsehen zu kriegen.

8 Kommentare:

meistermochi hat gesagt…

was hält das ausland eigentlich von uns?

sossenteufel hat gesagt…

dann sind also der adc, cannes, etc. die bösen, weil diese all die kreativprostitution in die welt gerufen haben! jetzt haben wir doch die schuldigen!!! ;)

Anonym hat gesagt…

auf zwei woerter reduziert denkt man ueber deutsche werbung in london 'cars & fakes' wobei das cars stark ueberwiegt und das fakes eher im hintergrund mitschwebt.

leider entgehen den leuten hier gute consumer campaigns wie sixt, hornbach und media markt (im vergleich zu den englischen elektromaerkten ist das so kreativ wie cadburry's).

Zschaler hat gesagt…

@meistermochi: Versetze dich einfach in den FC Barcelona und überlege dir dann, wie oft du über den HSV nachdenkst.

@sossenteufel: Die Wettbewerbe sind nicht die Bösen, sondern die Agenturen, die sie mit ihren vielen Fakes schamlos verzerren.

Anonym hat gesagt…

Gab es schon mal den Fall, dass ein Kreativer auf Entscheiderebene zum Kunden gewechselt ist?

Anonym hat gesagt…

kann es auch sein das sich die amis alle nicht so wichtig nehmen, gern auch mal über sich lachen können und einfach drauf los leben?
wir deutschen brauchen strukturen, alles muss bis ins kleinste durchgeplant sein, man gibt nicht viel von sich preis, etc.

und die werbung ist der spiegel...

Anonym hat gesagt…

es gibt doch einige große firmen mit inhouseagenturen. da sollten doch schon auch ads und texter sitzn oder?

soviel ich weiß sitzen z.b. selbst bei den großen versandhäusern "kreative"?!

die frage ist ja ob ich als kreativer die gleiche arbeit habe wie in einer agentur bzw. ob ich kreativ genauso gefordert werde...?

Zschaler hat gesagt…

@anon14:43h: Ex CD jetzt MD bei Ikea. Die Frage hatten wir schon mal irgendwann.

@anon18:46: Kennst du tolle Versandhauswerbung?

Und: Bei Modekunden sitzen auch viele Kreative, die die Werbung mit gestalten. Da geht es dann aber nur um den Fotolook und die Location. Und wie groß das Logo sein soll. Ergebnis: In der Modewerbung sieht fast jede Anzeige aus wie die andere.