Mittwoch, 15. April 2009

Gibt es noch ganz neue Werbeideen?

Das größte Problem eines Kreativen in der heutigen Zeit ist die Suche nach der einzigartigen Idee. "Einzigartig" ist fast die noch größere Herausforderung als die Idee selbst.

Ich behaupte, dass es so gut wie keine Werbeidee mehr gibt, die nicht in ähnlicher Form schon mal irgendwo auf dieser Welt erschienen ist.

Wenn man sich allein nur die täglich hinzu kommenden Print- und Outdoor-Motive bei Adsoftheworld oder Coloribus ansieht, bekommt man eine leise Ahnung davon, was in dem Archiv "gesamte weltweit veröffentlichte Kommunikation in den letzten 50 Jahren" so alles an Ideen schlummern würde, wenn es denn eines gäbe.

Kein Wunder, so viele Briefings und Problemstellungen sind seit Jahrzehnten die immer gleichen, da kann es unmöglich sein, dass die Millionen von Kreativen, die darauf arbeiten, mit immer völlig neuen Ideen vor ihren Kunden auftauchen.

(Ganz neu meint für mich: noch nie da gewesen).

Als Kreativer kann man sich schon glücklich schätzen, wenn man eine Strategie, einen Gedanken, einen Ansatz und/oder eine Umsetzung findet, die sehr ungewöhnlich und ungesehen erscheint – und von der die öffentliche Menge an Kreativ-Controllettis (sensationslüsterne Fachmedien, argwöhnische Juroren, neidische Kollegen, eifersüchtige Konkurrenz) nicht sagen kann: Guck mal, im Lürzer's Archiv 3/99, Seite 28, da hat eine Agentur in Mumbai schon mal so eine ähnliche Idee für eine Kaffeemaschine gehabt.

Überhaupt: Durch die vielen Archive und Jahrbücher wird man unbewusst im kreativen Denken beeinflusst und speichert Kreativ-Dramaturgien oder Inszenierungen ab, die dann an anderer Stelle, z.B. während eines Brainstromings zu einem ganz anderen Thema, wieder aufpoppen.

Obwohl man der felsenfesten Überzeugung ist, dass gerade eine neue Idee geboren wurde, hat man sie am Ende nur von irgendwo her reproduziert und neu umgesetzt.

Ist das schlimm?

Ich finde nicht, denn Inspiration gehört zum Geschäft. Woher immer sie auch kommen mag.

Natürlich ist es absolut inakzeptabel, wenn man Ideen 1:1 oder nur 1:2 abkupfert. Aber wenn ein ähnlicher Gedanke in einem anderen Kontext neu interpretiert und ungewöhnlich visualisiert wird, kann man darüber streiten, ob es ein Plagiat ist (siehe "Schlagloch"-Kurzdebatte zum letzten Beitrag).

Kommt in Jurys gerne vor.

Walter Lürzer, einer der Gründer von Lürzer Conrad (inzwischen Michael Conrad und Leo Burnett), den jüngeren Kreativen wohl vor allem als der Herausgeber von Lürzer’s Archiv bekannt, hat in einem Interview vor rund eineinhalb Jahren für die Schweizer Werbezeitschrift "Persönlich" folgendes von sich gegeben (das gesamte Interview findet ihr hier):

Frage: Sie sagen, Kunst und Werbung langweilen Sie. Gab es in letzter Zeit keine einzige Idee, die Sie aus den Socken gehauen hat?

Antwort: Nein. Die Ideen, die mich aus den Socken hauen, finden in der Wissenschaft statt. Das Problem ist, dass heute Werbung machen so simpel geworden ist. Vor dreissig, vierzig Jahren waren die Kunden und ihre Probleme komplizierter, sie wollten ‘long-lasting ideas’ und darüber hinaus jede Menge von Fakten kommunizieren. Wollte man Werbung für ein Auto machen, musste man sogar den Umfang des Kofferraums angeben, in Litergrösse. Da wird es schwer für die Kreativen. Heute sind viele Auftraggeber zufrieden, wenn man innerhalb einer Werbung einen Gag verpackt, der die Rezipienten zum Lachen bringt. Was man sagen will, ist nicht entscheidend, Hauptsache, die Werbung fällt auf.


Frage: Ist dies sinnvoll?


Antwort: Ja, zumindest bei Produkten mit geringem funktionalen
Benefit. Wenn der Name durchkommt, hat die Werbung ein wichtiges Ziel erreicht. Ich nenne es Hollywood-Effekt. Irgendwann ist der Skandal vergessen, den Namen aber hat man behalten. Das beste Beispiel ist Paris Hilton, die ich sehr bewundere. Sie kann nicht singen, nicht tanzen, nicht schauspielern. Sogar ihr Porno ist fade, trotzdem hält sie sich permanent im Gespräch.

Frage: Und so sollte gute Werbung sein?


Antwort: Nein, so sollte gute Werbung nicht sein. Aber sie ist (oft) so.


Nun kann einer wie der Walter Lürzer mit der Entspanntheit des Etablierten kokettieren und so tun, wie wenn früher alles besser war. Und er hat inzwischen vermutlich mehr mit den zahllosen Aufnahmenprozessuren in irgendwelche Hall of Fames und Club-Ehrenmitgliedschaften zu tun als mit dem Ausdenken von Ideen.

Aber weiß er wirklich, was es heisst, sich eine gute Idee auszudenken? Wissen dass auch die Typen, die darüber entscheiden, ob ein Motiv oder ein Spot bei Creativity, Shots oder sonstwokreativ.com aufgenommen wird und damit "medaillenwürdig" ist?

Wohl kaum, sonst wären sie nicht da, sondern in einer Agentur.

Die meisten "Kreativen", die selbst nicht wirklich mal eine Idee ausgedacht haben, wissen die wahre Freude des kreativen Prozesses gar nicht zu schätzen. Sage nicht ich, sondern sagt ein von mir geschätzter kritischer Geist und sehr erfahrener Texter.

Er hat mich auf dieses Lürzer Interview aufmerksam gemacht. Er kennt den Walter Lürzer noch aus seinen Tagen als Kreativen (eigentlich war Lürzer Kundenberater, hat sich dann aber Kreativer genannt, weil sich damit bei Kunden die Arbeiten der Agentur besser verkaufen ließen). Der hat damals schon alle möglichen Anzeigen im Keller gesammelt, um die Ideen dann an anderer Stelle wieder zu verwenden (dabei war das Sammeln und Zusammenfassen von guten Anzeigen als Magazin sicher seine allerbeste Idee).

Ob nun Gerücht oder Wahrheit, dieses Beispiel ist repräsentativ für den momentanen Zustand der Werbung.

Erst kommen die Awards/Archive. Dann kommt die Idee. Und dann kommt die Frage der Relevanz.

Ursprünglich war das mal genau umgekehrt gedacht.

15 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hat Werbung jemals nicht "nur" reporduziert, also Ideen aus Filmen, Büchern oder gesellschaftlichen Phänomenen übernommen und für ihren Zweck adaptiert?

sossenteufel hat gesagt…

wir befinden uns doch eigentlich in einem immerwährenden verwurstungsprozess von ideen. aber das ist überhaupt nicht schlimm! es kommt immer mal wieder einer daher, der es besser/schöner/schneller/bunter macht, als derjenige, der es vorher gemacht hat. bei uns heißt das "kreatives immitieren" - was nichts mit klauen zu tun haben sollte...

Anonym hat gesagt…

Ich meinte das auch in keiner Weise als negative Wertung. Es ist schwierig genug, clever und kreativ zu adaptieren.

Anonym hat gesagt…

Der Beitrag spricht mir aus der Seele. Für mich geht es darum, dass Werbung Spaß macht. Sowohl den Kreativen, als auch dem Empfänger. Wenn die Werbung den Konsumenten auf irgendeine Art und Weise berührt, habe ich meinen Job gut gemacht.
Egal ob es die Idee schon einmal irgendwo in ähnlicher Form gab oder nicht.

Die meisten Ideen gab es sowieso nur für irgendwelche Jurys um Preise abzuräumen - die Öffentlichkeit bekommt von den wenigsten guten Ideen wirklich etwas mit.
Wenn es jemand dann schafft diese Idee sinnvoll zu adaptieren, an den Kunden zu verkaufen und die Idee dann auch außerhalb der heiligen Werbebranche Anklang findet - optimal. Warum nicht?

Anonym hat gesagt…

Nachtrag:
Gerade ein paar gute Beispiele für genau das Thema gefunden:

http://adsoftheworld.com/media/ambient/xianjanssen_pharmaceutical_stapler?size=_original
http://adsoftheworld.com/media/ambient/styx_underwear_only_time?size=_original
http://adsoftheworld.com/media/print/www_beate_uhse_com_erotic_online_shop_eyecatcher?size=_original

Gleiche Idee, alle für das jeweilige Produkt anders umgesetzt. Das letzte haut mich zwar nicht um aber insgesamt alle gut gemacht. Warum die Idee nach der ersten Umsetzung sterben lassen weil "gabs schon, wir wollen ja nicht klauen.." ?

Nikolai v. Wurzbach hat gesagt…

Bei uns Menschen geht's doch von Anbeginn unserer Zeit ums Fressen, Scheißen und Ficken. Daher ist doch klar, dass sich Ideen wiederholen. Im Grunde rühren wir seit Jahrtausenden im selben Topf. Am Ende kommt es darauf an, wie das Gericht kredenzt wird. Tarantino ist ein Meister des popkulturellen Eklektizismus: Dagewesenes wird von ihm einzigartig wiederholt - und alle finden es klasse. Wiederholung gehört zur menschlichen Kultur. Einzigartigkeit entsteht durch die "neue" Zusammenstellung oder sogar dadurch, dass der Ideenkonsument die Zitatvergangenheit der Idee gar nicht kennt. Plumper Klau - wie im Artikel geschrieben - ist langweilig und irgendwie mau. Kreativität hat immer einen Kontext, der auch die Wiederholung zu etwas Einzigartigem machen kann. Nicht jeder kann das Rad erfinden, aber alle können es nutzn, um über den Berg zu kommen. Völlig okay.

Anonym hat gesagt…

werbung ist nicht mathe.

aber trotzdem:

gleiche probleme führen zu ähnlichen lösungen.

ich sollte mal eine bücher edition bewerben. das paket enthielt dann auch ein paar ideen mehr, als anzeigen und funkspots. eine war so süssigkeitenautomaten, wie sie an bahnhöfen stehen, mit büchern zu füllen.

fand ich super. der kunde auch. war dann aber zu teuer, kompliziert und was weiss ich nicht was.

vor einigen tagen nun eine doku auf phoenix oder arte gesehen. über das aufkommen der populärliteratur. und jetzt ratet mal, wo es die kleinen schundromane unter anderem schon damals zu kaufen gab...

... vor 100 jahren!

Anonym hat gesagt…

was ich heutzutage ein bisschen schade finde ist, dass man oft gar nicht mehr mit dem problem befasst.

wie gesagt. ähnliches problem - führt vielleicht zu ähnlichen lösungen. kann passieren. ist legitim und liegt ein stückweit ja auch in der natur der sache.

mit dem internet ist es jetzt aber oft so, dass man hört: hey - geiler look. oder mit der mechanik könnte man doch was machen. oder die idee würde doch auch so und so zu kunde xy passen.

man fängt mit der lösung an. und sucht sich das problem. das ist schlecht. als ob es nicht genug gäbe.

ramses101 hat gesagt…

Ich glaube ja, im Ambient ist noch viel drin. Allein weil halt permanent Neues von außen hinzukommt. Vielleicht nicht gerade am Linienbus, den gibts ja auch schon nen Moment. Aber Segways sind noch recht frisch, da geht noch einiges. Und das nur als Beispiel.

Print wurde halt beackert noch und nöcher, ohne, dass es da Nennenswerte Änderungen gegeben hätte (von Druck- und Konfektionierungstechniken mal abgesehen). Aber das Ambiente der Umgebung ändert sich immer weiter. Da geht mindestens noch genau so viel wie im Internet, wenn nicht mehr.

Problem: Ambient sind ja nun in der Regel kurze gezielte und einmalige Aktionen. Und die kommen dann wieder schnell unter Fakeverdacht.

meistermochi hat gesagt…

ich glaube nicht, dass es noch was völlig neues gibt.

die verdichtete 1er werbung gab es von der grundidee her wohl auch schon in der londoner tube in den 70ern.

ramses101 hat gesagt…

Vielleicht sollten wir mal definieren, was "völlig" neu ist. Das Rad war auch nur die Adaption des rollenden Baumstammes. Nur gab es da noch kein Inventions-of-the-world.com wo gleich jemand "Done before" posten konnte.

Ich glaube nach wie vor: So lange um uns herum Dinge erfunden werden, kann man damit auch neue Werbedinge anstellen. Nur das Rad ist eben "Done".

Anonym hat gesagt…

mal ganz anders gefragt.

wir nehmen eine große und gute werbegantur. da sitzt ein auch ganz guter kreativer der eines tages eine super s uper gold idee hat. nur leider für ein vogelfutter, poliermittel, waschmittel, etc. jedenfalls bekommt man es nur so am rande mit, da sie leider doch nicht so erfolgeich war, uafrgrund des wirren absendes, etc. aber dennoch ist die idee solide gut.

so jetzt hat irgend ein anderer jahre später für ein anderes, reales produkt oder tagesgeschäft eine idee, die diesem schema entspricht...

ist sie nun geklaut? kann ich die idee jetzt nicht mehr liefern weil irgend ein hirni die coole idee für was sinnloses verballert hat? was kann man da denn tun?

man hört ja oft gabs schon usw. aber wenn man dann fragt für was es da war und was man es jetzt bringen könnte kann ich auch manchmal nur mit dem kopf schütteln... was ist denn da nun richtig, falsch, geklaut oder revolutionär?

Zschaler hat gesagt…

Das muss jeder mit sich selbst ausmachen.

Anonym hat gesagt…

na das ist ja mal ne hilfreiche antwort. die cd´s und chefs sagen doch am ende ja oder nein? manchmal sogar mit begründungen die sie selbst niemals hören wollen würden...

ich hätte kein problem eine idee anzuwenden die es vielleicht schon in der form gab aber in meinem fall für dieses produkt das allergrößte und noch viel stimmiger wäre.

denn wenn wir schon fakes nicht ernst nehmen sollen, müssen wir auch die ideen vergessen die da drauf gehen. alles oder nichts. aber da fehlt auch die konsequenz.

Brett hat gesagt…

Es ist sicherlich der verkehrte Ansatz, Werbung als innovativ zu definieren anlog zu Forschung und Entwicklung in den wissenschaftlichen Labors. Ich halte das für ein Missverständnis. Werbung ist zu allererst ein ästehtisches Spiel und da mehr der Mode verwandt und meinetwegen auch der Kunst als der Wissenschaft. Das ganz Neue ist da oft nur etwas Altes, das sich auf eine magische Weise verjüngt hat. (Wie oft wurden in der Kunst die gleichen Motive gemalt, immer wieder neu?) Es geht um Aktualität. Und da gibt es eben Werbung, die im Moment ihres Erscheinens schon oll und faszinationslos erscheint. Und andere Werbung wirkt brennend zeitgemäß und die Leute sagen, gefällt mir, darf auf meinem TV laufen. Das hat viel mit neuer Sprache, neuen Farben, neuen Formen usw. zu tun. Und wie die Mode sieht es manchmal ganz neu aus, wenn man einfach mal das herauskramt, was vor 30 oder 40 Jahren up-to-date war. Neu kombiniert, aufreißt, erweitert oder verkürzt. Alles ein Spiel. Und das kann immer wieder Spaß machen.