Mittwoch, 7. Januar 2009

Szenen einer Ehe: Kreative und Berater.

Ein Kundenberater kommt vom Kunden zurück. Er hat eine Anzeige präsentiert, die den Kreativen sehr am Herzen lag. Der Kundenberater eröffnet das Meeting zum Re-Briefing mit folgenden Worten:

Also, der Kunde hat die Idee gekauft.

Wir brauchen nur ein neues Bild und eine neue Headline.

Dieses Szenario hat sich einst zu meiner Zeit bei Jung von Matt abgespielt und wurde dort zum Running Gag. Das Haltbarkeitsdatum des Beraters war entsprechend kurz.

In einigen Kommentaren vor dem Jahreswechsel war das Thema „Berater“ von Euch leidenschaftlich diskutiert worden. Der Geräuschpegel der Klagen war am Anschlag.

Sind sie die Kreationsverhinderer?
Sind sie das kreative Nadelöhr?
Sind sie die ewigen Besserwisser?
Sind Sie die Verkomplizierer?
Sind Sie die zweiten Kunden?

Ich kann zumindest nur feststellen, ohne Berater funktioniert keine Agentur.

Will man als Kreativer täglich mit dem Kunde telefonieren? Will man sich mit Abwicklungs- und Timingprozessen beschäftigen? Will man strategisches Gedankenpingpong mit dem Kunden vollführen? Will man sich komplizierte Probleme im Marketing oder Vertrieb anhören? Will man Gruppendiskussionen begleiten? Will man Marktforschungsergebnisse durchlesen und interpretieren? Will man Rechnungen schreiben und darauf achten, dass das Geld auch auf dem Agenturkonto ankommt? Will man sich das ewige Genöle der Kreativen anhören?

Es gibt viele Jobs, die in den Aufgabenbereich eines Beraters fallen, die ich nicht machen möchte – und auch nicht machen sollte.

Wenn du also auch zu der Überzeugung gelangst, ohne Berater geht es nicht, musst du die Ehe mit deinem beratenden Gegenüber so gut gestalten wie es nur geht. Oder die Konsequenzen ziehen.

Ich habe mal fünf "Szenen einer Ehe" entwickelt, die im täglichen Agenturleben zwischen Beratern und Kreativen gerne entstehen.


1. Die Szene der Hoffnungslosigkeit.

Der Berater weiß alles besser und bestimmt, welche Ideen zum Kunden gehen (Agenturtypus: Grey etc.).

Reaktion: Da kannst du als Kreativer nur die Scheidung einreichen, denn in der Agentur scheinen die Berater die absolute Oberhand zu haben. Oder versuchen, eine neue Beziehung in der Agentur eingehen, indem du in eine andere Gruppe wechselst.


2. Die Szene der Leidenschaftslosigkeit.

Dem Berater ist es ziemlich egal, was er mit zum Kunden nimmt, Hauptsache, er kann etwas zeigen und der Kunde ist glücklich (Agenturtypus: MWI – machen wir ihnen).

Reaktion: Selbst ist der Kreative. Ideen, die dir wirklich viel bedeuten, solltest du (oder dein Partner) persönlich beim Kunden vorstellen. Wenn du in der Hierachie noch keine Kundenberührungs-Genehmigung hast oder gar nicht zum Kunden willst, solltest du darauf drängen, dass der CD mitgeht und sie präsentiert.


3. Die Szene der Hilflosigkeit.

Der Berater ist von den Ideen genauso überzeugt wie die Kreativen, kann sie aber selten verkaufen (Agenturtypus: Kreativagenturen).

Reaktion: Ein Therapiegespräch vor jeder wichtigen Präsentation ist nötig. Du musst dem Berater genau erklären, wo die Knackpunkte und sensiblen Bereiche der Kampagne sind (siehe Beispiel unten). Mögliche Einwände des Kunden müssen voraus geahnt werden, damit der Berater fundierte Gegenargumente liefern kann.


4. Die Szene der Überschätzung.

Der Berater ist eigentlich selbst lieber Kreativer und bringt sich laufend in die Ideen mit ein (Agenturtypus: Kleinagenturen, Network-Agenturen).

Reaktion: Abwägen. Wenn der Berater gute Gedanken hat, solltest du nicht so eitel sein und alles ignorieren, was von ihm kommt, sondern überlegen, wie du die Gedanken verarbeiten kannst.

Wenn der Berater aber seine eigenen Ideen forciert oder laufend durch platte Reklameideen nervt, musst du ihn in einem ernsten Grundsatzgespräch die Grenzen zwischen guter und schlechter Idee aufzeigen. Kann auch beim Bier sein, wenn sie/er eigentlich ein netter Kerl ist.


5. Die Szene der Unerträglichkeit.

Der Berater verschlimmbessert zusammen mit dem Kunden die Ideen im Meeting und der Kunde gibt die Idee nur mit den Änderungen frei (Agenturtypus: gerne in Kleinagenturen oder Networks).

Reaktion: Zum CD gehen und Aussprache suchen. Wenn der Berater zusammen mit dem Kunden die präsentierten Arbeiten häufig so beeinflusst, dass sie keine gute Ideen mehr sind, muss ihm ganz klar gemacht werden, dass es das bessere Ergebnis eines Meetings ist, wenn die Kreativen über das Briefing neu nachdenken können.

Nichts ist schlimmer, als eine Idee zu realisieren, die andere zum Mittelmaß degradiert haben.


Sicher gibt es noch einige weitere Szenen oder Mischszenarien. Ihr könnt sie gerne beschreiben, ich denke, der Mitteilungsdrang ist durchaus vorhanden.

Wie ein Berater tickt, hängt stark davon ab, wie er selbst zu guter Kreation steht. Ich kenne viele leidenschaftliche Berater, die für gute Kreation alles tun und bis zur Schmerzgrenze gehen.

Natürlich ist es auch ein entscheidender Faktor, unter welcher Agenturphilosphie ein Berater zum Kunden segelt.

Ist eine Agentur von Beratern geführt oder dominiert, sind die Interessen der Agentur häufig anders gelagert als wenn Kreative eine Agentur führen oder der kreative Output eine große persönliche Bedeutung für die Agenturoberen besitzt.

Der Berater einer kreativ geführten Agentur geht schon mit dem Wissen zum Kunden, dass die Arbeit in seiner Pappentasche oder PowerPoint für die Agentur wichtig ist. Er weiß, wenn er zurück kommt und die Kreation ist nicht verkaufen konnte, hat er nervige Diskussionen mit enttäuschten Kreativen vor sich.

Bei all der Hassliebe zwischen Kreativen und Beratern, ein guter Kreativer darf den Berater nicht als Alibi benutzen, wenn er permanent schlechte Kreation raus bekommt.

Bei einem guten Kreativen sollte es auch "die Szene der Selbstkritik" geben:

Egal was der Berater erzählt hat, die Kreation war einfach nicht auf dem Punkt.

Tipp 86: Wichtige Ideen sollte ein Kreativer selbst präsentieren (oder darauf drängen, dass es der CD tut).











Manchmal sind es die Nuancen, die über das Wohl und Wehe einer Idee entscheiden. Kreative müssen Berater vor der Präsentation darauf aufmerksam machen.

Diese Kampagne funktioniert nur auf großen Formaten. Ein 1/1-Format würde sie entscheidend schwächen.

Informationen wie diese muss der Kreative dem Berater mit auf den Weg geben, sonst kommt der unter Umständen mit folgendem Ergebnis zurück: hey, toll, der Kunde hat die Idee gekauft – nur er schaltet lieber Citylights statt Billboards.


Eine brasilianische Kampagne für den Renault Logan. Agentur: Exclam Comunicação, Curitiba, Brazil.

10 Kommentare:

milchsaeure hat gesagt…

Wieso habe ich dieses blöde Gefühl, es gibt viel mehr gute Kreative als gute Berater?

Anonym hat gesagt…

dann sollte aber auch der kreative die idee präsentieren der sie hatte und nicht einer der eine gehaltsstufe drüber ist.

aber da sieht man doch das ungleichgewicht. ohne berater funktioniert keine agentur und die kreativen sind austauschbar weil 5 andere in der reihe stehen die den selben job am ende auch noch für weniger geld machen. das ist ja ne super motivation. ich als kreativer hab nicht nur druck ne gute idee zu liefern sondern noch den, das es vielleicht sogar meine letzte idee ist die ich abliefere.

ich werde trotzdem nicht das gefühl los das die berater überall mitmischen die kreativen aber möglichst "dumm" gehalten werden.

Anonym hat gesagt…

Das Gejammere der Kreativen, die zu 90% nur armseelige Nichtskönner sind (genau wie die Berater), ist einfach unerträglich. Zumeist haben Kreative durchschnittliche Allerweltsideen, die sie durch ihre verdrehten Gehirnwindungen zur Unkenntlichkeit versauen und das dann als neu verkaufen.

Anonym hat gesagt…

Wenn zwei sich streiten freuen sich der / die Dritten, die ewigen Dritten, die Planner.
Versucht es doch mal damit, dass ein Agenturfuzzi (gerne mit Brille und Schmalspur-Studium) sich Gedanke über die Marke, die Kommunikationsziele, die Verbraucher, etc. macht und dann allen klar wird, warum die betreffende Lösung (Print, TVC, etc.) genau die richtige ist für das vorliegende Problem.

Viele Grüße und alles Gute im neuen Krisenjahr. Schöner Blogg!

Thilo

Anonym hat gesagt…

Solange der Berater nicht ohne das Wissen der Kreativen mit Photoshop rumspielt ist mir alles recht. Leider aber auch schon desöfteren vorgekommen. Klassischer Fall von Typ 4.

milchsaeure hat gesagt…

@anonym11:32

So isses, allet Schiet, mien Jung.
Werbung braucht eh kein Schwein. Und deswegen liest Du auch diesen blog hier.

Zschaler hat gesagt…

Tssschh, das Thema scheint wirklich heiß zu sein.

Und auch bei (anonymen) Beratern sitzt der Frust tief.

Irgendwie habt ihr alle recht.

Am Ende des Tages muss man sich fragen, was ist der beste Weg, um gemeinsam ungewöhnliche Ideen raus zu bekommen.

Ich beneide auch keinen Berater, der von Kreativen irgendwelches krudes zeug bekommt und damit zum Kunden muss. Genauso wenig wie ich Kreative beneide, die sich von einem Berater die Photoshop-Arbeit aus der Hand nehmen lassen.

Berater, die Layouts bearbeiten sind mit absoluter Sicherheit fehlgesteuert.

Zschaler hat gesagt…

@Thilo Ritz:

Schön von dir zu hören. Und recht hast du, Planner sind der beste Katalysator für die Kreativen-Berater-Ehe.

Voarusgesetzt, sie haben nicht die gleichen Berater-Attitüden (kommt leider auch vor).

Zum Thema Planning siehe auch Beitrag unter Sept. 08.

Gruß nach Berlin.

Anonym hat gesagt…

was heißt denn gejammer der kreativen. reden wir hier von werbeagenturen oder von einer berateragentur. ich könnte zur not selber noch den kunden anrufen und ne dicke schleimspur ziehen. aber setzte mal nen berater vor photoshop. ;-)

es fängt doch schon meist intern an.

ja planner müsste man werden...

Zschaler hat gesagt…

In der Tat: die kleinste funktionierende Agentur-Einheit ist ein Kreativer mit guten Ideen.

Wenn es ihm nichts ausmacht, auch all die anderen Jobs zu übernehmen.

Doch wer will das?

Selbst mein Freund Pius (www.walker.ag) als kleinste Werbeagentur der Welt hat sich irgendwann Berater dazu geholt.

Und wenn der das macht, muss es irgendeinen Sinn ergeben.