Montag, 26. Januar 2009

Kreative über 40.

Tim Delaney ist keine 40. Auch keine 50. Er ist über 60 Jahre. Aber was er immer mal wieder zu mir sagt: I love to write ads.

Er schreibt noch jeden Tag Anzeigen und jettet durch die Welt, um Filme zu drehen oder wichtige Shootings zu begleiten. Und natürlich, um seine Kunden zu beraten. Oder uns.

Ich glaube, er ist auch deshalb so viel unterwegs, weil er im Flugzeug die Ruhe hat, über Ideen nachzudenken.

Tim ist Group Chairman, Managing Partner, aber vor allem ist Tim ein Texter mit Leib und Seele.

Wer in die Werbung einsteigt, stellt sich die berechtigte Frage, wie sind meine Perspektiven?

Vom Praktikant/Student zum Junior (bis 25)? Vom Junior zum Senior (bis 30)? Vom Senior zum CD (bis 35)? Vom CD zum Geschäftsführer (bis 40)? Vom Geschäftsführer zum Gesellschafter oder Agenturinhaber (bis 45)?

Es gibt physikalische Grenzen. Es können nicht alle Menschen, die in der Werbebranche arbeiten, ab 40 Jahren automatisch Creative Director, Geschäftsführer oder Agenturinhaber werden.

Mit 40 gehört man in der Branche zum alten Eisen, wenn man nicht mindestens CD ist.

Ein Vorurteil?

Man muss nicht drum herum reden. In Zeiten wie diesen, mit steigendem Kostendruck, neigen einige Agenturen dazu, Kreativsenioren und Nicht-CDs in einer Gehaltskategorie ab 6000 Euro im Monat einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Gern wird dann die Alternative gewählt, sich von den Senioren zu trennen und lieber einen Junior einzustellen. Auch auf die Gefahr hin, dass der nicht das liefern kann, was man sich erhofft. Man nimmt in Kauf, dass der Junior nicht die Erfahrung besitzt, einen Funkspot oder einen TV-Spot oder ein Fotoshooting zu begeiten. Da wird dann eben der CD wieder mehr in die Pflicht genommen.

Kann gehörig in die Hosen gehen.

Sicher können Junioren mal eine grandiose Idee haben, aber es ist für sie essentiell, einen erfahrenen Kreativen zur Seite zu haben, der sie in die Gegebenheiten der Branche einführt und geduldig erklärt, worauf es ankommt.

Ein erfahrener Texter, Art Director oder Designer ist für jede Agentur ein wichtiger Bestandteil des Teams. Solange er das Feuer und den Ehrgeiz hat, gute Ideen oder gut Gestaltung zu entwickeln.

Sicher, im Gehaltsgefüge wird es irgendwann eng und eine Agentur kann nicht linear mit dem Alter das Gehalt erhöhen. Aber wenn man einen gewissen Lebensstandard erreicht hat, mit sich und der Welt im reinen ist, kann man sich auch an einem Senior-Job erfreuen.

Im Gegensatz zu vielen anderen Berufen hat man als Kreativer die Chance, immer wieder etwas Neues zu machen. Man sieht das Ergebnis seiner Arbeit und wenn da regelmäßig ein paar Highlights dabei sind, dann findet man seine Selbstbestätigung.

Es gibt sicher viele eintönigere und frustrierendere Jobs.

Irgendwann und irgendwo muss man eben seine Zufriedenheit finden. Oder etwas verändern.

In England ist der Status des Senior Texters oder Senior Art Directors viel selbstverständlicher und anerkannter als bei uns. Ein Texter, der über 40 und kein CD ist, genießt trotzdem ein hohes Ansehen, wenn er gute Arbeit und gute Ideen liefert.

Leute über 40 haben ganz andere Lebenserfahrungen und somit ein ganz anderes kreatives Know How als Leute über 20 – das kann bei der Ideenfindung von großem Nutzen sein.

Mir fällt das auf, wenn wir uns beispielsweise über Versicherungsprodukte Gedanken machen. Eine Berufsunfähigkeitsversicherung oder eine Basis-Rente ist für einen 25jährigen rational zwar nachvollziehbar, aber er steht körperlich voll im Saft, hat noch keine Familie und kann sich deshalb emotional nicht so in die Thematik einfühlen wie ein Kreativer mit 40.

Unsere Bevölkerung wird immer älter und lebt immer länger und so werden wir mehr und mehr Kreative brauchen, die in der Lage sind, sich Kommunikation auszudenken, die nicht diese übliche belehrende 2-Phasen-Reiniger-Tonalität hat.

Es gibt so viele andere Bereiche, die zeigen, wie Leute über 40 oder 50 kreativ tätig sind und innovative Ideen haben. Regisseure, Fotografen, Künstler, Schriftsteller.

Es gibt keine Altersbegrenzung für Ideen.

Manchmal sehne ich mich förmlich danach, einfach nur Kreativer zu sein, ein Briefing auf den Tisch zu bekommen und mir zusammen mit meinem Partner etwas auszudenken. Sonst nichts. Keine Personalquerelen, kein Kundenterror, keine administrativen Diskussione, keine Budgetplanungen, einfach nur rumspinnen.

Herrlich.

Tipp 96: Bei Kreativen zählt die Leidenschaft, nicht das Alter.



They may have lost the bite but they can teach us chew.

7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich habe schon mal von einem Fall gehört, wo jemand zum CD befördert wurde, sich danach aber hat zurückstufen lassen, um wieder mehr Zeit für Ideen zu haben.

Scheint aber die Ausnahme zu sein. Aber warum soll man denn auf der Karriereleiter höher steigen, wenn man sich auf seiner Sprosse sauwohl fühlt?

Anonym hat gesagt…

Wie war eigentlich dein Texterwerdegang?

Anonym hat gesagt…

du hast doch in deiner karriere dutzende texter kennen gelernt... wenn dich mal zurück lehnst und dir ein paar von den damen und herren in erinnerung rufst - was ist aus denen so geworden?

ich habe bis jetzt mit zwei arten von cds zu tun gehabt. die einen hatten sich ein paar jahre rein gehängt - bis sie es "geschafft" haben. und dann war die luft raus. und dann gibts die, die immer noch heiss sind. und mit denen machts spass...

täuscht der eindruck, oder überwiegt in deutschland einfach oft der karrieregedanke? ist das vielleicht auch der grund, weshalb die kreation hierzulande nicht über in gewisses niveau kommt?

Zschaler hat gesagt…

@anonym-texterwerdegang: Meinen Weg in und durch die Werbung findest du im September 2008 unter folgendem Beitrag: http://textergesucht.blogspot.com/2008/09/ich-htte-mich-selbst-nie-eingestellt.html

@anonym-texterkarriere: Was deine zwei "Karrieretypen" angeht, so liegst du da auf der Zwölf.

Es gibt die Überzeugungstäter. Die Leute, die in der Werbung ihre Erfüllung gefunden haben und jeden Tag aufstehen, um mit ungebrochener Leidenschaft neue ungewöhnliche Ideen an die Öffentlichkeit zu bringen. Jean-Remy ist ein Prototyp davon.

Und es gibt die Kreativ-Pragmatiker, die eigentlich immer etwas Anderes machen wollten, es sich aber in der Werbung ganz komfortabel eingerichtet haben und jetzt so mehr recht als schlecht durch ihre Karriere surfen. Und entsprechende Arbeit abliefern.

Letzteres wäre für mich undenkbar und unerträglich. Aber das muss jeder für sich selbst entscheiden.

Richtig erfolgreich ist nur die erste Kategorie.

Erfolgreich heisst dabei nicht unbedingt, sie werden GF oder Agenturinhaber, sondern sie machen einfach kontinuierlich gutes Zeug und haben Freude daran.

Bedenke: du verbringst mit deinem Job mehr Zeit als mit deiner Frau und deinen KIndern.

Anonym hat gesagt…

Ich lese das hier sehr gerne, aber ihr Lieben, Ihr seht das immer sehr aus der Sicht der großen Agenturen.

In einer regionalen Agentur gibt es den GF, den Konzeptioner und Texter, die Grafikerin Nr.1 und Nr.2 und das Organisationsmädel. Und hier wird man nicht scheel angesehen, wenn man die 40 streift (dort bin ich zwar noch nicht, aber ich schätze es so ein), sondern es geht nur um die Aufgabe an sich, die man gut zu erledigen hat. Das scheint mir dann eher ein "englisches Verhältnis" zu sein. Der Schrei nach Jugend ist nicht so sehr zu hören, denn (man nehme es mir nicht übel) der Jugend-Hype auf beiden Seiten ist nicht so ausgeprägt. Soll heißen: für junges Blut ist es nicht sonderlich hip, in einer kleinen Agentur zu sein, sondern in einer namhaften. Und die Großen lassen gerne Jungblut ihre Gänge entlang galoppieren, um sich (nach außen und innen) den Wind von Hipness und "In-touch-with-the-scene" zu erhalten. Ein Eindruck, der bei Kunden von mittelständischen oder kleineren Agenturen zur unausgesprochenen Frage führen würde: Sind die seriös und beständig genug für meine Aufgaben?

Ich weiß, das ist ein wenig polarisierend, aber die Richtung stimmt in jedem Fall. Soll heißen: über 40 und NICHT GF in kleineren Agenturen geht eher als in großen.

Doch gibt es hier eine andere Problematik, nämlich die der Gehaltsstufe. Das Gehalt eines guten Texters in einer großen Agentur erreicht ein guter Texter in einer kleineren Agentur nicht. Sprich, es gibt eine Obergrenze, welche perspektivisch möglicherweise nicht genug ist, eine Familie gut zu führen. Folge: der gute Texter aus der kleinen Agentur sucht sich ein ergänzendes Freelancerverhältnis. Und bewegt sich damit in beiden Welten. Auch ein seltsamer Hybridzustand. Für mich jedenfalls.

Zum Thema Überzeugungstäter:

Ich habe bei Ogily zwei Überzeugungstäter in Sachen Werbung kennengelernt, Johannes Krempl und Delle Krause. Und vor allem Delle hat mich beeindruckt, da er ein selbstverständliches Feuer für gute Kommunikation in sich hat. Und diese Menschen halten sich oben, da spielt Alter keine Rolle.

Grüße,

Lutz

milchsaeure hat gesagt…

Stimmt, der Krempl ist ein Maniac. Falls Du dies liest, besten Gruß, Johannes.

Anonym hat gesagt…

Gelesen und gefreut. ;-)

Lutz