Samstag, 27. Dezember 2008

Altes Kreativ-Europa vs. neues Kreativ-Europa.

Die Einführung des neuen VW Golf (VI) vor ein paar Wochen in Deutschland hat sicher jeder noch im Kopf. Nicht, weil sie so ungewöhnlich war. Eher, weil man als Kreativer natürlich interessiert beobachtet hat, wie eine Ikone der Automobilindustrie im Heimatmarkt werblich präsentiert wird.

Der TV-Spot „Wertigkeit“ (von DDB Berlin):



Mit zeitlicher Verzögerung wird der gleiche Wagen nun in England eingeführt. Seit gestern läuft das folgende Stück Werbung.

Der TV-Spot „Fight“ (von DDB London):




Unterschiedlicher kann die werbliche Einführung des gleichen Wagens kaum sein.

Hier die reine Produkterotik, die aber in keiner Faser ihres Auftrittes überrascht und sehr rational geprägt ist.

Dort ein rasanter Actionfilm, der die Stilelemente von Kinohits wie Matrix und Bourne Identity aufgreift und den Betrachter zu verblüffen versucht.

Ein Film, wie man sich als Kreativer gut gemachte Kommunikation vorstellt. Kommunikation von heute.

Wie kommt so ein riesiger Unterschied zustande?

Nicht durch extensive Planningprozesse. Nicht durch Marktforschung. Nicht nur Konzept-Pretests.

Durch unterschiedliche Geschmäcker.

Am Ende aller vor-kreativen und kreativen Prozesse entscheiden die Entscheider.

Die Menschen, die in den jeweiligen Unternehmen das letzte Wort für die Kommunikation haben.

Das kann mal ein Vorstand sein, der sich mit Marketing und Kommunikation nicht täglich beschäftigt, aber es sich (zurecht) vorbehält, zu entscheiden, was von seinem Unternehmen an die Öffentlichkeit gelangt.

In diesem Fall hängt es davon ab, wie sein Vertrauen zu den Leuten ist, die für die Kommunikation zuständig sind.

Das kann aber auch ein Marketing Director sein, der vom Vorstand mit großer Entscheidungsbefugnis ausgestattet ist.

Ob der eine oder der andere: Was man immer wieder unterschätzt ist, dass die kreative Entscheidung vom ganz persönlichem Geschmack der Entscheider abhängt. Von ihrem Bauchgefühl. Von ihren eigenen Reflexionen. Von ihrem individuellen Verständnis für Kommunikation.

Beim deutschen Golf-Einführungsfilm haben die Entscheider Wert darauf gelegt, die Qualität des Autos herauszustellen. Sie glauben daran, dass sich der heutige Konsument in einem Werbeblock von solch einem Spot überzeugen lässt und motiviert wird, sich mit dem Wagen auseinander zu setzen. Ja, vielleicht sogar am nächsten Tag zum Händler gehen.

Beim englischen Einführungsfilm haben die Entscheider Wert darauf gelegt, die Betrachter zu überraschen und ein großes Stück ungewöhnlicher Werbung zu präsentieren. Werbung, die unterhält. Werbung, über die man spricht.

Hier war die Aufgabe, erst einmal aus dem Meer der Informationen herauszustechen mindestens genauso wichtig wie die, Botschaften zu verankern.

Ich denke, das ist eine gute Überlegung.

Man hat es jeoch nicht getan, ohne auch gewisse Tugenden, für die der Wagen steht, zu dramatisieren: deutsche Ingenieurskunst.

Natürlich glaubt man als Kreativer, ja man hofft es förmlich, dass die kreative Überraschung das kühle Präsentationsdiktat von Materialien schlägt.

Ob dem so ist, werden die nächsten Jahre klären, denn die Kommunikation vollzieht gerade einen großen Wandel.

Ich meine damit nicht die Medien selbst, sondern die Art, wie Inhalte präsentiert werden.

Für mich ist der deutsche Golf-Spot die alte kreative Schule. Und der englische Golf-Spot die neue kreative Schule.

Alte Schule: Werbung diktiert. Neue Schule: Werbung unterhält.

Wir werden lernen müssen, dass Werbung mehr und mehr eine Form von Geschäft wird: Wir (die Absender) bieten eine gewisse Form von Unterhaltung. Und wenn sie interessant gemacht ist, beschäftigt sich er (der Betrachter) zum Dank mit unserer Botschaft.

Die gegenläufige Entwicklung der beiden „Schulen“ hat sich in diesem Jahr stark zugespitzt.

Sehr viele große und tradierte Marken haben begonnen, im Internet ein ganz anderes Gesicht zu entwickeln. Manche investieren viel Geld in dieses Gesicht. Siehe unter anderem hier.

Es wird interessant zu beobachten sein, wie der Prozess weiter geht, denn je nach Entscheider bzw. Agentur werden wir hier noch den ein oder anderen Zusammenprall der Kulturen erleben.

Als Kreativer muss man überlegen, wie man seinen Kunden da weiter helfen kann, ohne sie zu überfordern oder zu verunsichern. Und wie man ihre persönlichen Geschmäcker – die oft noch die Geschmäcker der digitalen Immigranten sind – an die Geschmäcker der digitalen Eingeborenen, den jungen Konsumenten (euch?), heranführt.

Wie groß die Aufgabe und wie steinig dieser Weg ist, zeigt auch die Tatsache, dass der deutsche Golf-Film aus einer Agentur kommt, in der der Kreativchef nicht müde wird, öffentlich vom Paradigmenwechsel in der Werbung zu predigen.

Willkommen in 2009.

Tipp 81: Werbung wird zum Tauschgeschäft: Unterhaltung gegen Information.

7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Beim letzten Absatz musste ich sehr schmunzeln :)

Anonym hat gesagt…

Unterhaltung gegen Information. War das nicht schon immer so? Wenn ich sehe, was in Cannes etc. läuft, dann ist das Werbung, die Spaß macht oder nachdenklich oder überrascht oder was weiß ich. Jedenfalls Werbung, die man sich gerne ansieht.
Wenn ich im Kontrast dazu, die Werbung sehen, die in Deutschland täglich geschaltet wird, könnte ich kotzen.

Wenn nur, sagen wir mal, die Hälfte, der Cannes Spots im deutschen Fernsehen z.B. geschaltet wird (also vom Niveau her) hätten die Deutschen schon ein ganz anderes Bild von Werbung.

In Amerika ist der normale Bürger gespannt, was für ein Werbespot wohl dieses Jahr zum Superbowl laufen wird. Weil er Unterhaltung erwartet! Weil er weiß, Werbung ist nicht nur Information, Werbung kann mich unterhalten.
So etwas gibt es gar nicht in Deutschland.

Wenn einfach mal ein paar PS mehr, wirklich auf die Straße kommen, dann haben wir auch nicht mehr diese Diskrepanz zwischen z.B. ADC Einreichungen und das was der Mensch auf der Straße sieht.

Ich denke auch, dass der Berater mehr in die Pflicht genommen werden sollte, wirklich gute kreative Ansätze auch mal beim Kunden wirklich durch zu boxen.
Häufig kommt es mir vor, als wären die Berater nur noch der verlängerte Arm des Kunden.

Die feiern geile Ideen erstmal gar nicht ab, sondern da kommt nur ein: naja, geht ein wenig am Briefing vorbei. Die Idee ist ganz cool, aber macht noch lieber ein Konzept, dass mehr auf Briefing und Kundewunsch eingeht.

Da denk ich mir. What the fuck. Wenn ich schon mit zwei Konzepten beim Kunden antanze, ein Konzept mit einer guten kreativen Idee, eines, was eher den Kundenwünschen entspricht, dann kann ich mir schon vorher ausrechnen, was abgeschossen wird.
Ich find das nur noch behindert. Da ist kein Kampf, nichts hinter.

Ich finde die Berater machen es sich da oft genug zu einfach.

Kunde zufrieden stellen, und schon ist mein Beraterjob erfüllt - die Geschäftsführung freut sich natürlich auch über einen zufriedenen, zahlenden Kunden.

Und da fällt es dann natürlich einfacher zu sagen: ok, jetzt machen wir noch 3 Spots für den ADC, denn der Kunde ist bereits zufrieden und jetzt müssen wir nur noch unseren kreativen Anspruch erfüllen.

Ach ja, die Spots müssen wir selber finanzieren.
Also, bitte keine aufwendigen Sachen ausdenken. Nur eine kleine nette Idee, die ja nicht zu viel kostet.

Ich weiß nicht genau, wie es in England oder USA ist, aber ich denke, dass den Beratern dort, mehr abverlangt wird - oder die selber Bock auf geile Werbung haben.

Das sieht man auch ganz schön an den beiden Spots.

Das ist meine Meinung dazu.

Anonym hat gesagt…

Schließe mich der Meinung meines Vor-Posters an. Von uns Kreativen wird ständig erwartet, die Probleme anderer zu lösen. Aber es kann nicht sein, dass das nur an uns hängen bleibt. Es die Agentur im Ganzen, also jeder, der in einer Agentur arbeitet, der sich dafür stark machen muss. Und wäre das der Fall, sähe die Werbung in Deutschland, und das Bild der Branche sehr viel besser aus!

Anonyma hat gesagt…

Hallo!

Ein Fakt: Viele Berater die ich kennengelernt habe, waren reine Abwickler.

Dabei hat der Berater die Chance, den Kunden unmittelbar an gute Kreation heranzuführen. Ihn dort abzuholen, wo er steht. Aber das macht Arbeit und Mühe. Und man braucht Engagement, Kampfeswillen und Rückgrat. Auch nach 18 Uhr.

Als Kreative wünsche ich mir von den Beratern mehr Respekt vor der Kreation, mehr Einsatz und mehr Führung des Kunden. Wir kämpfen täglich um die besseren Ideen, aber wir brauchen jemand, der sich dann auch für sie einsetzt. Und zwar 100%ig.

Ich habe schon viele Kreative aus den Agenturen fliegen sehen, aber noch nie einen mittelguten Berater. Warum eigentlich???

Warum sieht man am Wochenende nur Kreative in den Agenturen aber weit und breit keine Berater?

Warum nicht mal ein Blog zum Thema "Was macht einen wirklich guten Berater aus?"

Zschaler hat gesagt…

Sammelantwort:

Unterhaltung statt Information hat für mich in diesem Jahr noch eine Steigerung erfahren.

War man früher immer noch bemüht, irgendwelche Botschaften ungewöhnlich aufzubereiten, scheint der Trend dieser Tage zu sein, einfach nur noch durch Unterhaltung Produkt und/oder Marke ins Gespräch zu bringen.

Was hat ein Handy mit einer Spam-Vernichtungsmaschine zu tun?

Zum Berater-Thema.

Ich denke, da ist meine Antwort am besten die, die Anonyma hier im letzten Kommentar gefordert hat: ich schreibe einen Beitrag dazu.

Folgt im Januar.

Anonym hat gesagt…

Vielleicht kann ich kurz zur Spam-Maschine-Nokia-Connection aushelfen:

Auf diesem Nokia kannst du jetzt auch Dokumente managen - Word, Powerpoint Excell etc. Und deshalb wirst du so viel Dokumente geschickt bekommen, dass du dir wünscht, sie zu verbrennen und das dem Verursacher mitzuteilen.

Interessant ist, dass das keiner ahnt, noch interessanter, dass es eigentlich kontraproduktiv ist und der Kunde es auch noch freigegeben hat.


Da kann man sich mal vorstellen, wie der deutsche Marketingentscheider braun in der Hose hat, wenn er damit zu seinem Boss geht, der aus der Kategorie "In diesem Unternehmen macht man nur einen Fehler" kommt.

Das beste Argument solche Kreation durchzusetzen ist für mich "social currency"

Wenn dir die Marke eine Story gibt, die dich sozial aufwertet, findest du als Käufer schon irgend ein Argument, dass das Nokia eben "technisch" oder "leistungsmäßig" oder sonstwie das richtige Gerät ist und kaufst es um es rumzuzeigen und zu sagen, dass es eben ein Nokia ist. Das mit der Maschine eben.

Wenn du dann auch dem Mediaentscheider sagst, dass er mal die Zeit der millionen Leute, die da 5 Minuten mit seinem Produkt oder eher der "Markenwelt" verbringen gegen TV-Spendings minus Streuverluste rechnen soll, bekommst du von der Seite grünes Licht, so doof ist das also gar nicht.

Aber hier müssen wirklich alle mit angreifen. Du als Kreativspacken, der ja keine Ahnung von Effizienz und Zahlen hat aber mit das mit dem Herzen vertritt, der Beraterfux, der das schön rechnet, dann der Mediaheinz, der die Zahlen belegt und die Ehefrauen der Entscheiderstufen E28 bis E3
sollt man auch schon mal gefragt haben.

In tiefer Ehrfurcht vor den Farfar-Leuten für den langen, langen Weg, den sie mit Nokia schon gegangen sind, damit solche Projekte jetzt durchgewunken werden.

Ein Freund.

Zschaler hat gesagt…

Dass man mit dem Nokia entsprechende Dokumente empfangen kann, ist schon klar.

Ich teile deine Meinung aber nur bedingt zur Wirkung der Aktion. Es reicht nicht allein aus, nur eine social currency zu sein.

Wegen eines Filmchens allein kauft keiner ein Handy.

Da gehört schon der Gesamtauftritt der Marke dazu und diese Aktion ist ein Teil davon.

Aber danke, mein "Freund", dass du geholfen hast, noch mehr Licht in die Nokia-Maschine zu bringen.

Gruss zurück.