Freitag, 28. November 2008

Stilübungen.

Es gibt ein schönes kleines Büchlein von einem nicht sehr bekannten französischen Dichter und Schriftsteller namens Raymond Queneau (1903 – 1976). Der Titel des Büchleins und sein Inhalt sind das Vorbild für meinen heutigen Beitrag:

Stilübungen.

Das Werk ist natürlich eher literarisch-intellektuell angehaucht und teilweise fällt einem das Lesen schwer.

Aber die Idee des Buches ist sehr einfach und für Texter eigentlich eine fantastische Lektüre.

Raymond Queneau hat eine kurze Geschichte von rund 700 Anschlägen in insgesamt 100 verschiedenen Stilarten immer wieder neu geschrieben und erzählt.

Ich will euch mal mit einem erfundenen Text fünf Beispiele geben, wie das anmutet.

Der sachliche Text.

Ein Mann geht auf eine schwarze Limousine zu. Der Wagen sieht neu aus, der Lack glänzt in der Wintersonne. Der Mann ist etwas untersetzt, hat einen Bauchansatz und trägt ein zu enges Sakko. Der Mann schließt den Wagen mit der Fernbedienung auf. Die Lampen leuchten kurz auf. Er öffnet die Fahrertür, holt ein Tuch heraus, und wedelt den Staub vom Fahrersitz, der aus Alcantara-Leder ist. Jetzt erscheint eine blonde, große und attraktive Frau hinter ihm. Er übergibt ihr den Schlüssel und beobacht, wie sie sanft mit ihren langen Beinen in den geräumigen Wagen gleitet. Es ist ein Skoda Superb. Der Mann bewundert die Grazie der Frau. Dann wirft er die Türe des Wagens zu, die – „wump“ – mit einem satten Ton und seinen Worten schließt: Viel Spaß bei der Probefahrt. Die Frau startet den Wagen, der 3,6 Liter Motor erzeugt dieses kraftvoll wirkende Surren und schwebt vom Hof. Der Mann geht zurück in sein Büro, guckt an sich herunter und sagt zu sich selbst: Ich sollte auch mal wieder trainieren.

Der sehnsüchtige Text.

Eine blonde, langbeinige Frau mit weich wehenden Haaren kommt wie in Zeitlupe auf ihn zu. Sie haucht ihn an: Sind Sie Herr Müller? Ihm stockt der Atem. Das ist die Frau, mit der er den Termin zur Probefahrt ausgemacht hatte? Unglaublich, dass sich so eine Frau für einen Skoda interessiert. Er bekommt feuchte Hände. Sie scheint es eilig zu haben, trommelt mit den langen Fingernägeln auf den Counter. Er kann den Blick nicht von ihren, vom lieben Gott wirklich großzügig geformten, Rundungen lassen. Wie schaffen es Männer, so eine Frau zu bekommen? Verdammt, wo ist der Schlüssel von dem schwarzen Skoda Superb. Er wühlt seine Unterlagen durch und spürt ihre bohrenden Blicke in seinem Nacken. Aus dem Augenwinkel sieht der den eleganten Wagen auf dem Hof stehen. Plötzlich sieht er sich mit ihr auf der geräumigen Hinterbank im Fond. Er sieht, wie seine Hände an ihrem Körper hoch gleiten, er spürt, wie das Alcantara-Leder sein Gesicht kühlt. Aber er sieht den verdammten Autoschlüssel nirgendwo. Da trifft ihn der Hauch von einer Stimme bis ins Mark: Nehmen sie doch den hier. Sie hält den Schlüssel hoch, der genau vor ihm auf dem Counter lag.

Der offizielle Text.

Sehr geehrte Frau Berger, wir freuen uns, dass Sie sich für einen Skoda Superb interessieren. Unser neues Modell bietet alles, was Sie von einer Limousine in dieser Klasse erwarten. Er besitzt einen sehr großzügigen Innenraum, in dem auch Menschen mit langen Beinen bequem Platz finden. Sein Alcantara-Leder und die hochwertigen Materialien des Innenraumes machen den Skoda Superb zu einem komfortablen Fortbewegungsmittel. Auf Ihren Wunsch stellen wir ihnen eine Limousine in perlschwarz bereit. Sie können den Wagen am Samstag, den 29.11. um 14 Uhr in Empfang nehmen. Wir bitten Sie, den Wagen am Montag, den 1.12., spätestens um 9 Uhr bei uns zurück zu geben. Wir weisen Sie darauf hin, dass der wagen vollgetankt ist und wir uns freuen würden, wenn sie ihn auch vollgetankt zurück geben. Bitte wenden Sie sich zum Termin bei unseren Verkaufsleiter, Herrn Müller. Er wird Ihnen die Schlüssel übergeben und Ihnen bei Bedarf den Wagen ausführlich erklären. Mit freundlichen Grüßen Gerd Niemeyer, Geschäftsführer Skoda Niederlassung Hamburg.

Der beobachtende Text.

Was macht denn so ein kleiner dicker Kerl mit so einer wahnsinnig geilen Frau? Die passen doch nun überhaupt nicht zueinander. Wie der Typ allein schon aussieht. Das Sakko ist viel zu eng und er hat Schweißperlen auf der Stirn. Gott, jetzt lässt der sogar den Autoschlüssel runter fallen, scheint irgendwie nervös zu sein. Zugegeben, mich würde die Alte auch nervös machen. Jetzt hält er ihr die Türe auf zu dem Wagen. Und wedelt auch noch den Staub vom Fahrersitz. So ein Warmduscher. Ich fass es nicht. Der lässt die Frau fahren? So ein Auto? Was wird das für ein Modell sein? Scheint eine Luxuslimousine zu sein. Hab ich noch nie gesehen. Ist bestimmt so eine italienische Nobelkarosse. Mann, bestimmt total in Leder alles, mit einer gigantischen Stereoanlage und Navigationssystem. Jetzt geht er weg, der kleine Dicke und lässt die Frau mit dem Wagen alleine. Also, ich würde so eine Tante niemals alleine wegfahren lassen. Na ja, weg ist sie. Der Wagen hat bestimmt einen 3,6 Liter-Machine. Erkennt man am surrenden Sound. Aber moment mal, wo geht der Typ denn jetzt hin? Ach du liebe Zeit, das ist ja ein Autoverkäufer. Seh ich da etwa ein Skoda-Logo über dem Büro. Ich krieg die Motten, das Auto der Frau war ein Skoda. Unglaublich.

Der logisch zusammengefasste Text.

Skoda Superb. Schwarz. 3,6 Liter-Motor. 4x4-Antrieb. Alcantara Ledersitze. Probefahrt. Gutaussehende Kundin. Blond. Lange Beine. Großer Busen. Nervöser Verkäufer. Untersetzt. Dick. Zu enges Sakko. Feuchte Hände. Lässt Schlüssel fallen. Frau ist ungeduldig. Er hält ihr Tür auf. Wedelt Polster sauber mit Tuch. Sie knallt Tür zu. Braust davon. Er schaut sehnsüchtig hinterher. Will abnehmen. Geht zurück ins Büro. Skoda-Logo über der Tür.

Diese Übungen kann man munter weiter treiben. Sie können helfen, die verschiedenen Stilarten zu explorieren und beim Texten bewusster darauf zu achten, welche Perspektive und welchen inhaltlichen Ablauf (roter Faden) man wählen möchte, um sein Inhalt zu den Lesern zu transportieren.

Den erotischen Text, den vulgären Text und den negativen Text habe ich aus Gründen des Niveaus weg gelassen.

Wer will, kann es ja im Kommentar probieren.

Tipp 62: Lies das Buch "Stilübungen" von Raymond Queneau.




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Provision bekomme ich leider keine.

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