Mittwoch, 8. Oktober 2008

Die Ingredienzen ungewöhnlicher Filme.

Stell dir vor, jemand legt dieses Manuskript auf deinen Tisch:

In einem Studio. Ein Gorilla sitzt vor einem Schlagzeug. Die Musik „In the air tonight“ von Phil Collins setzt ein. Der Gorilla regt sich nicht. Fast unbeweglich sitzt er vor seinem Schlagzeug und hält die beiden Trommelstöcke in der Hand. Er atmet tief ein. Und wieder aus. Mehrmals. Er bewegt den Kopf etwas hin und her, um seine Schultermuskulatur zu lockern. Dann setzt das bekannte Trommelsolo des Musikstückes ein und der Gorilla flippt plötzlich total aus. Er schlägt mit seinen Stöcken zum Takt der Musik auf die Trommeln ein.

Der Packshot erscheint: Cadbury Diary Milk.

Super: A glass and a half full of joy.

Wenn mir ein Kreativer diesen Film als Treatment vorgelegt hätte, ich bezweifle, ob ich es zum Kunden getragen hätte. Und hätte damit den Grand Prix 2008 der Werbefilmfestspiele in Cannes vermasselt.

Ein anderer Creative Director hat daran geglaubt. Vielleicht, weil er Engländer ist.

Eine andere Geschichte:

In einem Supermarkt. Vater und Sohn beim Einkauf. Der Sohn wirft eine große Chipstüte in den Einkaufswagen. Dem Vater missfällt das. Er legt die Chipstüte zurück ins Regal. Der Sohn unternimmt einen zweiten Versuch. Er legt die gleiche Tüte wieder in den Einkaufswagen. Der Vater ist genervt und legt die Tüte wieder zurück in das Regal. Der Sohn verschränkt die Arme. Er beginnt zu schreien. Immer lauter. Immer länger. Die anderen Kunden schauen verstört zu den beiden rüber. Der Sohn rastet nun total aus. Er rennt zu all den anderen Regalen und wirft alles auf den Boden, was ihm in die Finger kommt. Der Vater will ihn stoppen, schafft es aber nicht. Er bleibt schließlich konsterniert stehen.

Off: Use condoms.

Logo: ZaZoo Condoms.

Ich kann mir vorstellen, dass ich dieses Treatment zum Kunden getragen hätte.

Wenn man ein Treatment rückwärts schreibt, so wie ich es bei diesen beiden Filmen getan haben, dann ist die Beurteilung, wie man über die Skripts vorher entschieden hätte, kaum objektiv zu machen.

Man kennt und liebt einfach schon, was man gesehen hat. Das ist im normalen CD Leben ja nicht der Fall. Sicher haben sich die original Treatments auch noch ganz anders gelesen.

Ich stelle diese beiden reproduzierten Treatments deshalb heraus, weil sie für alle, die TV Spots entwickeln, einen entscheidenden Unterschied schön deutlich machen. Und zwei in der Werbung häufig vorkommende Entwicklungs-Dramaturgien aufzeigen.

Der erste Spot besticht durch seine Kernbotschaft (a glass and a half full of joy) und durch seine Exekution.

Der zweite Spot besticht nicht durch seine Botschaft (banal: benutze Kondome), aber dafür durch eine überraschende Geschichte. Die Exekution ist ordentlich, aber nicht sonderlich der Rede wert. Einfach filmisch gut erzählt (muss man auch können).

Während der erste Spot durch Strategie und Umsetzung punktet, macht es der zweite durch die kreative Idee.

Damit sind wir bei den drei wichtigsten Ingredienzen für einen guten Spot:

1. Botschaft (Strategie).

2. Story (Idee)

3. Umsetzung (Casting, Bilder, Look, Editing, Musik, Animation, etc.).

Mindestens eine dieser Zutaten muss absolut herausragend sein. Besser zwei.

Das Medium Film wird so gerne eingesetzt, weil es am einfachsten und schnellsten Emotionen beim Betrachter erzeugen kann.

Die Wahl der Botschaft bzw. die strategische Ausrichtung der Marke kann deshalb sehr hilfreich sein, um eine neue, ungesehene und ungewöhnliche Dramaturgie zu erfinden.

Findet man nämlich eine ungewöhnliche und spitze Strategie (z.B. bei einer Schokolade darauf setzen, dass sie mit eineinhalb Gläsern Milch gemacht ist), steht einem ein ganz anderes kreatives Suchfeld zur Verfügung als bei einer Positionierung die da lautet: „sahniger“.

Die Kraft des Gorilla-Spots kommt aber eindeutig aus der Umsetzung. Hier hat jemand an das Skript geglaubt und sehr viel Engagement in die Exekution gelegt.

Wer sich allerdings auf die Exekution verlässt, der setzt voraus, dass ein gewisses Budget zur Verfügung steht.

Was, wenn es das nicht tut?

Ist das Budget limitiert, kann es von Vorteil sein, eine Geschichte mit einer so starken Idee zu entwickeln, dass selbst ein mittelmäßiger Regisseur die Story beim Dreh nicht verhunzt.

Eine Garantie ist das natürlich nicht.

Was man dagegen tun kann, erzählt der Onkel ein anderes Mal.

Tipp 28: Wer ungewöhnliche Filme schreiben will, braucht mindestens eine ungewöhnliche Botschaft. Oder eine ungewöhnliche Geschichte zu einer gewöhnlichen Botschaft.




Der TV-Spot "Gorilla" für Cadbury von Fallon.

Botschaft: brilliant, Story: geht so, Exekution: brilliant.






Der TV-Spot "Little Boy" für ZaZoo Condoms von Duvall Guillaume, Brüssel.

Botschaft: lau, Story: brilliant, Exekution: ordentlich.

8 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Was sollte in so einem Treatment unbedingt beschrieben werden, was darf ich auf keinen Fall vergessen, wie soll ich meine Idee beschreiben und wie sollte es von der Form her aussehen?

Zschaler hat gesagt…

Darauf komme ich in den nächsten zwei bis drei Tagen.

Noch etwas Geduld.

Anonym hat gesagt…

Hallo Suchender, ich habe auch gerade gesucht, nach
Punkt 1 deiner Kriterien-Liste. Wa ist die Botschaft
(die Strategie?) hinter diesem Gorilla-Film? Wer ist
Zielgruppe außer diesen Cannes-Esoterikern (zu denen merkwürdigerweise seit Jahren unsere Art-Buyerinnen gehören?) Und wie kann überhaupt jemand ein Stück Werbung beurteilen, wenn er nicht
das Briefing kennt? Sage ich immer in unseren Meetings. Ich glaube, ich werde da nicht mehr lange
was zu sagen haben. Gruß Igor

Zschaler hat gesagt…

Die Botschaft ist: diese Schokolade ist aus 1,5 Gläsern Milch gemacht. Damit hast du mehr Spaß als andere.

So hab ich es jedenfalls verstanden.


Und die Esoteriker in Cannes haben es wohl auch so verstanden. Also scheint deren Intelligenz auf meinem niederen Niveau angesiedelt zu sein.

Vielleicht solltest du mal bei der VHS einen Esoterik-Kurs machen, damit du in deiner Agentur nicht rausfliegst.

Nastrowje, Igor!

Anonym hat gesagt…

Warum macht Milch Spaß? Warum macht mehr Milch mehr Spaß in einer Schokolade? Erwachsenen? Oder ist es doch so was wie Kinderschoggi? Daher auch meine Frage nach der Zielgruppe. Ich will ja auch nicht meckern. Ich will was lernen. Aber ich verstehe euch nicht,euch Kreativ-Gurus . Ich habe hier gleich zwei. Da verlangt ihr klare, kurze Briefings. Und was ihr draus macht oder was ihr mögt, sind kryptische Filme. Als ob die Verbraucher eure Rätsel lösen wollten. Ich sags noch mal: Ich will nicht meckern. Ich will lernen. Um eben nicht aus einer Agentur zu fliegen. Scheint der falsche Weg zu sein. Aber in der VHS habe ich mich trotzdem angemeldet.

Salve, Suchender und Danke für die Antwort.
Junior Igor.

Zschaler hat gesagt…

Ich glaube, in diesen Spot gibt es gar nicht so viel hinein zu geheimsen. Kunde und Agentur haben beschlossen, eine Botschaft (1,5 Gläser Milch) sehr unterhaltsam zu penetrieren. Der Spaß kommt beim Zuschauen.

Jetzt kann man arguemntieren, dass der Gorilla etwas sinnentleert ist und man doch lieber gezeigt hätte, wie 1,5 Gläser Milch in einen Schokoladenbottich gegossen werden, doch ich befürchte, damit hätte sich nicht dieser Erfolg erzeugen lassen.

Vielleicht liegt es auch daran, dass die Zielgruppe nicht ganz so kritisch denkt wie du.

Sie haben Spaß an dem Spot und honorieren dann auch, wie die Botschaft rüber geschoben wird.

Mal ehrlich, dieses soundso viel Liter Milch pro Rippe hat man ja auch schon oft gehört.

Das Rätsel, dass du da zu sehen meinst, ist aus meiner Sicht keines. Das Ganze ist ziemlich platt.

Aber eben optisch attraktiv.

Die Steigerung dieses Stilmittels ist nur noch intelligent und optisch attraktiv.

In diesem Sinne ess ich jetzt eine Ritter Sport.

Anonym hat gesagt…

Was mich – vor allem im Hinblick auf deinen Post vom 9. Oktober – wundert: Wie haben die den Song von Phil Collins bezahlt?

Ansonsten scheint der Spot wirklich an Geschmäckern zu scheitern. Mein CD kam rein und hat ihn mir total vergnügt und aufgeregt vorgespielt. Ich selbst finde ihn eher so meh. Der Gorilla könnte wesentlich mehr Spaß rüberbringen und seine Performance z.B. mal ein bisschen variieren. Aber vielleicht ist das auch nur meine persönliche Allergie gegen Affen im Fernsehen, speziell in der Werbung (ja, ich fand schon Toyota dämlich, da hab ich an meinen heutigen Beruf noch nicht einmal gedacht. Von Trigema ganz zu schweigen).

Zschaler hat gesagt…

Ich denke, Phil Collins hat sich eine neue Luxus-Limousine gekauft, als er die Buyouts bekommen hat.

Vielleicht ein Cabriolet (in the air tonight).

Und in der Tat scheint dieser Film zwischen Lieben und Hassen zu liegen.

Nicht das schlechteste Qualitätsmerkmal.